Perfekte Manner gibt es nicht
zu »weich«, um ernst genommen zu werden.
Und da saß sie nun und weinte vor der Person, die sie ganz besonders ernst nehmen sollte.
Sekunden später schwand ihre Hoffnung, er würde weder ihre gebrochene Stimme noch die Tränen in ihren Augen bemerken.
»Warum regen Sie sich so auf, Lou?«, fragte er verwirrt. »Das verstehe ich nicht.«
»Das können Sie auch gar nicht«, würgte sie hervor. O Gott, warum riss sie sich nicht zusammen und
meisterte die Situation wie ein Mann? Warum musste sie heulen, vor ihm ?
Doch sie war ihren Gefühlen machtlos ausgeliefert.
Unaufhaltsam flossen die Tränen wie Wasser durch einen geborstenen Damm, all die aufgestauten Emotionen brachen hervor.
»Natürlich wissen Sie nicht, warum ich mich aufrege …« Sie hörte, wie schrill ihre Stimme klang. Doch das störte sie nicht mehr. »Heute habe ich einen Mann getötet, nicht wahr? Und ich wüsste gern, warum. Wieso wollte er mich ermorden? Und Sie? Uns? Begreifen Sie denn nicht, dass mich das interessiert?«
Durch den Tränenschleier sah sie Jack nicht mehr, nur verschwommene Umrisse.
Großartig. Jetzt weinte sie vor Jack Townsend. Und sie hatte sich doch so sehr bemüht, in seiner Gegenwart keine Schwäche zu zeigen, würdevoll und professionell zu wirken. Stattdessen schluchzte sie, während er einfach nur dastand und sie beobachtete, so verblüfft, als hätte sie ihm soeben anvertraut, sie würde gern die alten Wiederholungen von Kampfstern Galactica sehen.
Nun, was hatte sie denn erwartet? Dieser Mann verbrachte seine Freizeit mit Melanie Dupre, einem der dümmsten Menschen auf diesem Planeten. Wie sich normale Frauen verhielten, konnte er gar nicht wissen, weil er wahrscheinlich noch nie mit einer zusammen war. Höchstens, wenn er einer normalen Frau ein Autogramm gab.
Zur Hölle mit ihm! Nur damit er sich besser fühlte oder damit sie einen professionellen Eindruck machte, würde sie nicht zu heulen aufhören. Und seit ihre
Tränen flossen, ging es ihr richtig gut. Sogar die wei ßen Flocken, die vor den Fenstern herabfielen, fand sie nun weniger unheimlich, weil ihre Tränen ebenso schnell die Wangen hinabrannen. Und der sich hinter den schmutzigen Scheiben zusehends verdüsternde Himmel störte sie auch nicht mehr.
Im Rauschen des Windes, der an den hölzernen Wänden der Hütte rüttelte, glaubte sie, die Stimme ihres Vaters zu hören. Hey, der Kerl war ein Verbrecher. Der hat den tödlichen Schuss verdient. Mach dir deshalb keine Gedanken, Kiddo. Letzten Endes ging’s doch darum, wer von euch beiden ins Gras beißen musste. Du oder er. Wärst du es lieber gewesen?
Und als Lou glaubte, nun hätte sie genug geweint, geschah etwas völlig Unerwartetes, etwas, das sie beinahe zwang, die letzten Tränen hinunterzuschlucken.
Jack Townsend legte einen Arm um ihre Schultern.
10
Das hatte er doch erwartet, nicht wahr? Tränen. Lous Tränen. Würde sie nicht weinen, wäre das ziemlich seltsam.
Er hätte erkennen müssen, dass mehr als eine simple Bruchlandung in der Wildnis von Alaska nötig war, um Lou Calabrese Tränen zu entlocken. Da musste sie schon zuerst jemanden erschießen, um ins Schluchzen zu geraten.
Und das respektierte er.
Jetzt wusste er wenigstens, was er tun sollte. Zuvor hatte er sich etwas verwirrt gefühlt. Er war an Frauen gewöhnt, die handelten und redeten wie Männer. Fast alle seine Beziehungen zu Frauen verliefen in erotischen Bahnen. Und Lou Calabrese war die Einzige (seine Mutter natürlich ausgenommen), die sein … äh … Charme nie beeindruckt hatte. Wie attraktiv ihn andere Frauen fanden, schien sie gar nicht zu merken. Andererseits, warum schrieb sie dann diese Szenen, in denen Pete Logan alle Hüllen fallen lassen musste?
Niemals hatte sie ihm Anlass zu der Vermutung gegeben, er würde sie reizen. Seit er sie kannte, begegnete sie ihm sogar feindselig .
Und deshalb hatte er nie gewusst, wie er sich in ihrer Gegenwart verhalten sollte. An eine so unverhohlene Abneigung war er nicht gewöhnt. Klar, in Hollywood gab es einige Leute, mit denen er nicht so gut
zurechtkam. Zum Beispiel Jeff Berger, dem er einmal wegen einer Meinungsverschiedenheit bezüglich einer Szene ein Auge blau geschlagen hatte. Und Russell Crowe mochte er auch nicht besonders.
Aber Lou war die einzige Frau in Hollywood, mit der er sich nicht verstand.
Umso bizarrer erschien ihm die Tatsache, dass er jetzt in einer verlassenen Försterhütte auf einem wackeligen Klappbett saß und eine weinende Lou im Arm
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