Perfekte Manner gibt es nicht
hielt.
»Schhhh«, flüsterte er und tätschelte ihre Schulter, weil er festgestellt hatte, dass diese Geste auf manche Frauen besänftigend wirkte. »Alles in Ordnung, alles wird wieder gut.«
»N-nein«, schnüffelte sie. »Fragen Sie doch S-Sam.«
»Dem geht es sicher gut«, erwiderte er, obwohl er daran zweifelte.
»O nein! Entweder liegt er im Schnee oder …«
»Oder seine Kameraden haben ihn gefunden und zu einem Arzt gebracht.«
»Sicher nicht«, schluchzte sie. »Die lassen ihn da draußen sterben.«
Irgendwie fiel es ihm schwer, Mitleid mit Sam Kowalski zu empfinden. Er wollte Lou nicht gestehen, dass er den Mann nur aus dem brennenden Helikopter geholt hatte, um seine Taschen zu durchsuchen und seinen Namen zu erfahren. Stattdessen behauptete er: »Da irren Sie sich. Ich wette, Sam geht es großartig, und er hat es in diesem Moment viel wärmer als wir. Wahrscheinlich liegt er in einem weichen Krankenhausbett, mit wundervollen Schmerzmitteln vollgepumpt.
Lou schnaufte. Dann erkannte er, dass es ein Lachen war. Nur ein kleines. Aber immerhin ein gutes Zeichen.
Etwas anderes bemerkte er auch noch. Dagegen konnte er sich einfach nicht wehren. Die Schulter unter dem Daunenparka, die er berührte, war äußerst wohlgeformt. Nun, ihr seidiges Haar, das sein Gesicht streichelte, roch sicher nur deshalb so himmlisch, weil sie Millionen von Kilometern von der Zivilisation entfernt waren. Und es waren sicher nur die Tränen, die ihre Augen so funkeln und ihre Lippen so verlockend glänzen ließen.
Plötzlich sah sie ihn mit diesen verführerischen nassen Augen an. »Was tun Sie da eigentlich?«
Jack war nicht an Frauen gewöhnt, die ihm solche Fragen stellten, wenn er sie freundlich behandelte. Ohne seinen Arm von ihren Schultern zu nehmen, murmelte er: »Was … ich?« Nicht sonderlich intelligent. Aber es war schwierig, klar zu denken, während er das angenehme Orangenaroma ihrer Locken einatmete. »Ich versuche, Sie zu trösten.«
»So?« Sie schüttelte seinen Arm ab und stand auf. »Tun Sie mir einen Gefallen.« Obwohl sie nicht mehr weinte, schienen neue Tränen ihre Stimme zu ersticken. »Trösten Sie mich aus der Ferne.«
»Lou«, begann er in einem bemüht vernünftigen Ton. Allzu vernünftig fühlte er sich allerdings nicht. Die Nähe ihres Körpers, an seinen geschmiegt, beunruhigte ihn mehr als die Tatsache, dass sie mitten im Nirgendwo gestrandet waren, auf der Flucht vor bewaffneten Schneemobilfahrern. »Natürlich haben Sie Angst, das ist verständlich. Verdammt, auch ich …«
» Schon gut, ich bin okay.« Nun klang ihre Stimme wieder normal. »Bleiben Sie einfach sitzen.«
Statt zu antworten, hob er die Brauen. Offensichtlich war Lous Abneigung gegen ihn weit größer als ihre Furcht vor der derzeitigen Situation – ein ernüchternder und ärgerlicher Gedanke.
»Ich bin hungrig«, verkündete sie.
Jetzt, wo sie das erwähnte, spürte er seinen eigenen Hunger, sogar einen Bärenhunger. Seit dem Essen am letzten Abend hatte er nichts mehr zu sich genommen, und das war auch nur ein halbes Steak mit ein paar Pommes frites gewesen, weil während der Mahlzeit die Nachricht von Gretas und Barrys Flucht im Fernsehen verkündet worden war. Und dann hatte Melanie ihren hysterischen Anfall bekommen …
»Vielleicht hat jemand was übrig gelassen.« Er stand auf und schaute sich um. »Notfallrationen oder so. Was immer die Ranger so essen.«
Das Gesicht von langen Locken verdeckt, wühlte Lou in ihrer Handtasche. »Haben Sie im Aktenschrank nichts gefunden?«, fragte sie in die Tasche hinein.
»Da habe ich noch nicht überall nachgesehen.« Jack kehrte zum Aktenschrank zurück und riss die erste Schublade auf. Mit leerem Blick starrte er die Papiere an und schloss das Fach wieder. Was war eigentlich los mit Lou Calabrese? Klar, sie hatten nie besonders gut zusammengearbeitet. Das lag an ihrer Empfindlichkeit, was ihre Drehbücher anging, und an seinem Streben nach Authentizität. Und er hatte sich nicht gerade freundschaftlich von Vicky getrennt. Aber das war vor einer halben Ewigkeit passiert. Also, was stimmte nicht mit Lou Calabrese?
Normalerweise mochten ihn die Frauen. Das durfte er behaupten, ohne eingebildet zu klingen, denn es war eine Tatsache. Warum, wusste er auch nicht. Vielleicht, weil er sich immer gut mit seiner Mutter verstanden hatte. Oder vielleicht ganz einfach, weil er die Frauen mochte. Mit allen seinen Verflossenen pflegte er herzliche Beziehungen. Von Melanie
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