Perfekte Manner gibt es nicht
herabrieselten und nicht den Eindruck erweckten, als würden sie das in absehbarer Zeit bleiben lassen. Verdammt, verdammt! Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug …
»Beeilen Sie sich, Lou!«, rief Jack, der etwa zwanzig Schritte entfernt stand. »Diesen Berghang müssen wir schaffen, bevor es dunkel wird.«
»Warum?«, fragte sie entnervt. »Was zum Teufel hoffen Sie, hinter diesem Grat zu entdecken? Ein gottverdammtes Sheraton?«
»Immerhin ist es ein Ziel.« Sie konnte seinem Tonfall entnehmen, dass er mit seinem Latein nun auch fast am Ende war.
Sollte er doch … Das war nicht ihre Schuld. Ihretwegen waren sie nicht in der Arktis gestrandet und wurden von bewaffneten Killern gejagt.
»Sind Sie schon einmal auf der Flucht gewesen, Lou? Da orientiert man sich an Merkmalen in der Landschaft und sagt sich: Jetzt gehe ich weiter, bis ich diesen Baum erreiche. Und wenn man ihn erreicht hat, sucht man sich das nächste Ziel aus.«
»Normalerweise laufe ich nicht im Freien herum. Nur auf dem Laufband und nur so lange, bis Judge Judy vorbei ist.«
Unbeeindruckt zuckte er die Schultern. »Auf einem
Hometrainer entwickelt man viel zu wenig Durchhaltevermögen.«
»Oh, davon habe ich eine ganze Menge. Und Sie können mir nicht einreden, hinter diesem Grat würde uns irgendwas Großartiges erwarten. Es ist immer nur das Gleiche. Schnee. Bäume. Und raten Sie mal, was danach kommt. Vielleicht Schnee und Bäume?«
»Was soll ich denn tun, Lou?«, wollte Jack wissen. »Soll ich lügen und behaupten, hinter diesem Hügel ist ein Burger-Schuppen?«
»Oh, das wäre nett und würde mein Vertrauen in Ihre Führungsqualitäten bestärken. Die haben mich bisher eher nicht überzeugt.«
Obwohl die Flocken immer dichter herabfielen, bemerkte sie sein ungläubiges Staunen.
»Was meinen Sie damit?«, fragte er. »Habe ich uns etwa nicht vor mörderischen Kugeln gerettet?«
»Doch«, gab sie mürrisch zu. »Aber wie soll ich denn wissen, ob wir nicht vom Regen in die Traufe geraten? Sie haben doch keine Ahnung, in welche Richtung wir gehen, Jack! In dem Film Auf Messers Schneide – Rivalen am Abgrund bastelt Tony Hopkins einen Kompass aus einer Büroklammer und einem Blatt. Solch brillante Ideen hatten Sie bisher nicht.«
»Unglücklicherweise habe ich keine Büroklammer bei mir.« Jacks ungläubiges Staunen ließ ein wenig nach. »Und wenn Sie irgendwo Blätter sehen, informieren Sie mich. Hier gibt es nämlich nur Kiefernnadeln. Und Schnee. So leid es mir auch tut, aber ich habe eben nie MacGyver gespielt. Das war dieser andere Typ, erinnern Sie sich? Aber wenn Sie eine Intubation brauchen, bin ich Ihr Mann.«
»Ha! Als würde ich Ihnen jemals gestatten, irgendwas in meinen Hals zu stecken …« Zu spät merkte sie, wie zweideutig das klang, und fügte rasch hinzu: »Ich glaube, es schneit immer stärker. Also sollten wir uns irgendwo verkriechen und das Ende des Schneesturms abwarten. Ich habe diese Episode von Unsere kleine Farm gesehen, in der sie einen Iglu bauen. Vielleicht können wir …«
So leicht ließ er sie nicht davonkommen. »Sie erröten schon wieder, Lou.«
»Nein«, widersprach sie und wich seinem Blick aus. »Mir ist nur kalt.«
»Wäre der Gedanke, ich würde etwas in Ihren Hals …«
»Es ist nur der eisige Wind, der mir auf der Haut brennt!«, rief sie.
Wegen des Flockenwirbels war ihre Stimme nicht allzu deutlich. Trotzdem hörte Jack ihre Worte. »Natürlich, Lou.«
Inzwischen war sie näher zu ihm gestapft und sah ihn deutlich genug durch den Schneefall. Zu ihrer Entrüstung grinste er. »Das habe ich so nicht gemeint!« , fauchte sie. »Okay? Ich dachte an einen Intubationsschlauch …«
Aber er schien ihre Erklärung zu ignorieren. »Lou – was ist das eigentlich für ein Name? Ein Spitzname?«
»Ja«, bestätigte sie und blieb stehen, um Schnee von ihren Stiefeln zu schütteln. »Nicht mein richtiger Name.«
»Oh?« Neugierig hob er die Brauen. Sie verstand nicht, warum ihn das faszinierte, nachdem er bisher nie auch nur das geringste Interesse an ihr gezeigt hatte.
Möglicherweise lag es daran, dass sie im Umkreis von einigen hundert Kilometern das einzige weibliche Wesen war. Abgesehen von Elchkühen. »Und wie hei ßen Sie wirklich?«
Sie murmelte eine Antwort, die vom knirschenden Geräusch des Schnees unter ihren Stiefelsohlen verschluckt wurde, als sie weiterging.
»Wie bitte?«, fragte er.
Mühsam zog sie ein Bein aus einer Schneewehe und stieß zwischen
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