Perlenregen
Bestimmt findet er mich hässlich und langweilig!“
„Du bist doch nicht hässlich!“, sagt Oma.
„Aber langweilig?“
„Nein, das auch nicht. Aber du musst schon ein bisschen aus dir rauskommen, wenn du einen Mann für dich gewinnen willst. Du weißt doch, wie so was geht. Das nächste Mal ziehst du was mit einem tieferen Ausschnitt an, das kriegt sogar deine Mutter hin. Nicht mit den Reizen geizen, Nelchen. Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.“
„Richtig, ran an den Mann!“, tönt es von hinten. „Hör auf deine Oma!“
Jawohl, ran an den Mann. Fragt sich bloß, wie ich das anstelle.
5
„Und darum wünschen wir uns ein verlängertes Wochenende mit euch beiden – so wie früher, als ihr noch klein wart!“
Unsere Eltern heben feierlich das Glas und strahlen uns voller Vorfreude an. Verdattert schauen Nico und ich die beiden an. Das kann doch nicht ihr Ernst sein, ein Urlaub mit Mama und Papa! Nico findet als Erster die Sprache wieder; mir steht noch der Mund vor Schreck weit offen. Bildsequenzen aus längst vergangenen Kindertagen tauchen in meinem Kopf auf. Nico und ich im Bollerwagen an der Nordsee. Zu viert im Freizeitbad, bloß leider ohne meinen Badeanzug, sondern in der Badehose des großen Bruders. Verregnete Abende im runtergekommenen Ferienhaus beim Monopoly-Spielen. Oh Gott!
„Bella meckert schon seit letztem Jahr darüber rum, dass wir nie in Urlaub fahren. Das kann ich ihr nicht antun, wenn ich jetzt mit euch fahre, aber mit ihr nicht!“
„Solange ihr nicht mindestens verlobt seid, kommt ein Familienurlaub mit deiner Freundin nicht in Frage, Nico. Du weißt, dass wir Bella mögen, aber wer garantiert uns, dass die Beziehung hält? Nein, nein, Mama und ich möchten euch mal wieder ganz für uns allein haben. Wie Mama schon sagte: So wie früher.“
Papa hat gesprochen. Ich fasse es nicht. Nico und ich wissen genau, dass das keine Bitte, sondern ein Befehl war, gleichzusetzen mit der unausgesprochenen Drohung: Wenn ihr nicht mitkommt, kann Nela zukünftig eine saftige Miete überweisen und Nicos Studentengeld wird gekürzt.
„Oh-oh“, sage ich, weil mir mehr dazu nicht einfällt. Widerrede ist zwecklos; ich weiß, wann ich zu schweigen habe. Nico aber nicht.
„Wie altmodisch ist das denn bitte? Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr, sondern erwachsen! Guckt euch alte Fotos an, wie wir am Strand rumbuddeln. Oder Videos – da haben wir doch auch noch welche, wie Nela sich in Cuxhaven ihre Haare selbst geschnitten hat! Genau, das macht mal. Ihr wollt mich doch nicht wirklich mit in den Urlaub nehmen, das würde euch nur wahnsinnig machen!“
Dass er jetzt so ganz nebenbei von meiner unfreiwilligen Ponyfrisur anfangen muss, ist mal wieder so typisch für Nico. Nein, ich habe wirklich überhaupt keine Lust auf drei oder vier Tage Lust auf happy family. Vorsichtig wage ich eine Frage:
„Habt ihr denn eine Vorstellung, wo es hingehen soll? Also: sollte. Ich find das ja auch echt ganz lieb von euch, aber irgendwie …“
„Na klar“, lacht Mama. Sie legt ihr Besteck zur Seite, damit sie sich ganz aufs Reden konzentrieren kann. So macht man das in unserer Familie. Essen und sprechen gleichzeitig gehören sich nicht. „Papa hat schon alles gebucht, wir fahren Freitag in den Harz! Stellt euch vor, er hat das Ferienhaus gebucht, in dem wir mal Weihnachten verbracht haben! Du warst 7 und Nico 10, wir haben doch noch die schönen Bilder, als wir eine Tageswanderung gemacht haben! Papa und ich freuen uns sehr! Ihr werdet schon sehen, das wird auch für euch toll. Um das Geld braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, das bezahlen alles wir!“
„Das wäre ja auch noch schöner, wenn ich für diesen Blödsinn blechen müsste“, schimpft Nico. Er bricht das Familiengesetz und schiebt sich wütend ein Riesenstück Roulade in den Mund, bevor er kauend weiter wütet: „Ihr wisst doch gar nicht, ob ich dieses Wochenende Zeit habe! Und Nela, musst du nicht Samstag arbeiten?“
„Ich, äh …“, sage ich, aber Mama ist so richtig gut drauf.
„Nein, Nela hat frei, habe ich alles bereits mit ihrem Chef geklärt. Und Bella weiß auch Bescheid, sie wünscht dir viel Spaß. Nun komm, Nico, verderbe uns nicht die gute Laune. Denk lieber an die beeindruckende Natur!“
„Ich denke eher an das Kinderzimmer, das ich mir mit meiner Schwester teilen muss.“
Vor Schreck lasse ich meine Gabel auf den Teller fallen. Ich muss mir
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