Perlenregen
mit Nico ein Zimmer teilen!
„Wie bitte? Ist es etwa dieses bescheuerte Nur-Dach-Haus mit dem Elternschlafzimmer unterm Spitzboden und dem einen Kinderzimmer neben der Küche? Das kann doch nicht euer Ernst sein! Nico kann im Wohnzimmer schlafen! Ich brauche meine Privatsphäre!“
„Schlaf du doch im Wohnzimmer“, schnauzt Nico mich an. „Ich schnarche, sagst du doch selbst immer. Wenn ich im Kinderzimmer penne, hört ihr mich alle nicht. Außerdem muss ich dann nicht dabei zugucken, wie du morgens den Frühstückstisch deckst!“
„Du Arsch! Ich hab es schon früher mit dir in einem Zimmer gehasst. Deshalb hast du mir jeden Urlaub versaut!“
„Kinder!“, ermahnt Mama uns wie ungezogene Gören, aber Papa meint lachend: „Lass sie doch, sie stimmen sich nur auf unser Familien-Wochenende ein. Es ist alles genau wie früher; ganz so, wie wir es uns gewünscht haben!“
***
Das letzte Mal, als wir zu viert im Auto saßen – Mama, Papa, Nico und ich – war zu Opas Beerdigung. Ich muss mal auf dem Grabstein gucken, in welchem Jahr das war. Auf jeden Fall ist es Ewigkeiten her. Jetzt sitze ich hinten neben meiner Mutter und kann das alles gar nicht glauben. Meine Eltern sind komplett durchgedreht!
„Ich werde richtig sentimental“, sagt Mama überglücklich. „Wir vier zusammen … herrlich!“
„ Aber nur, weil ihr uns erpresst habt!“, ätzt Nico nach hinten.
Ich sag lieber gar nichts. Mir hat es regelrecht die Sprache verschlagen. Wenn ich noch letztes Wochenende dachte, dass es nicht schlimmer kommen kann mit meinen immer gleich öden Sonntagen, werde ich nun eines Besseren belehrt: Schlimmer geht’s immer. Frustriert gucke ich aus dem Fenster, lasse die Landschaft an mir vorbeiziehen. Der Harz ist so ziemlich das Langweiligste, was ich mir im Sommer vorstellen kann. Vielleicht sollte ich vor Ort nach einem Kosmetikstudio Ausschau halten; genau, das ist eine gute Idee. Außerdem lass ich mir von meinen Eltern Klamotten schenken – der Plan dürfte aufgehen. Sie wollen sich ja so fühlen, als sei ich wieder zwölf; also tu ich ihnen den Gefallen und werde ordentlich rumbetteln.
Nach drei Stunden fahren wir endlich in die Sackgasse, in der das altmodische Ferienhaus steht. Rund herum gibt es nur solche Häuser, die allesamt aussehen wie überdimensionale Dreiecke mit der Spitze nach oben. Früher war das bestimmt mal der letzte Schrei, aber ich ahne bereits, dass es keine Klimaanlage gibt und die Hitze sich so richtig schön unter all dem Holz staut. Meine Eltern springen hocherfreut auf die menschenleere Straße und strahlen um die Wette. Irgendwie ja rührend, wie begeistert sie sind.
„Los, bringen wir es hinter uns“, sage ich zu Nico und schwing e mich aus dem Auto.
„Von mir aus nehmen wir vorerst beide das Kinderzimmer. Hoffentlich ist es nicht so klein, wie ich es in Erinnerung hab. Wir können dann ja heute Nacht sehen, wer am lautesten schnarcht.“
„Okay. Mann, hier sieht’s noch genauso öde aus wie vor 15 Jahren. Bestimmt sind wir die einzigen Urlauber weit und breit.“
„Gott sei Dank nur ein Wochenende. Länger hätte ich den Scheiß auch nicht mitgemacht“, sagt Nico. Ich kann nur nicken.
Wir folgen unseren Eltern über den Kiesweg ins Haus. Immerhin gibt es eine neue Küche mit Spülmaschine. Früher musste ich dreimal täglich beim Abtrocknen helfen. Von der mickrigen Küche geht Nicos und mein Schlafzimmer ab, das den Charme einer Jugendherberge versprüht. Zwei Betten, zwei Nachttische, ein Kleiderschrank, fertig. Wortlos werfen wir unsere Koffer ins Zimmer und gehen in das große Wohnzimmer. Es kam mir größer vor, als ich noch ein Kind war, aber immerhin ist der Röhrenfernseher gegen einen Flachen ausgetauscht worden, der Boden ist auch nicht mehr so hässlich grau, sondern mit Laminat belegt. Die Essecke sieht sogar richtig hübsch aus; aber das gebe ich nicht laut zu.
Mama hat sich die Wendeltreppe nach oben hoch gequält und kichert wie ein verliebter Teenager. Oh Gott, ich möchte bitte nicht mitbekommen, was dort heute Nacht passiert!
„Und jetzt?“ rufe ich.
„Jetzt ziehen wir uns unsere Wandersachen an und gehen spazieren!“, sagt Papa.
„Wandersachen? Ich hab keine Wandersachen, höchstens Trainingsklamotten. Aber die brauch ich wohl kaum für einen Rentnerpfad. Ich gehe so“, sagt Nico.
Leider muss ich ihm schon wieder zustimmen. Ich zieh mich doch nicht wie zum Sport um!
„Ich lass meine Sachen auch an. Meint ihr nicht, dass ihr ein
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