Perlenregen
klitzekleines bisschen übertreibt?“
„Kinder, ihr seid ja schon erwachsen, also tut, was ihr für richtig haltet. Mama und ich haben jedenfalls keine Lust auf verknackste Füße! So, auf jetzt!“
***
Nico schnarcht. Alles tut mir weh. Unruhig drehe ich mich im Bett hin und her. Es ist so ätzend mit seinem großen Bruder in einem Zimmer zu schlafen, erst recht, wenn man schon den ganzen Tag mit ihm verbringen musste. Meine Eltern haben uns tatsächlich vier Stunden durch die Gegend gescheucht, immer schön den Berg rauf, vorbei an einem spießigen Wohngebiet mit Gartenzwergen in den Vorgärten, einem ganz eindrucksvollen Wasserlauf, wie Mama findet, und dann weiter in den Wald rein. Erst als ich gar nicht mehr mit dem Gejammer über schmerzende Füße und Atemnot aufhörte, drehten wir endlich um.
„Du bist solch eine Memme, Lesterschwein“, piesackte Nico mich.
„Sei doch froh! Sonst würden sie uns noch weiter durch die Gegend jagen! Du solltest mir danken, blöder Schleimer!“
„Kein Wunder, dass du keinen Typen findest. Dich würde ich nicht mit der Kneifzange anfassen, du blöde Zicke!“
„Bevor ich mich dich von dir anfassen lassen würde, ginge ich lieber ins Kloster!“
„Das wäre auch kein Unterschied zu deinem jetzigen Leben.“
Wütend schnappe ich mir Kopfkissen und Decke und flüchte ins Wohnzimmer. Doof nur, dass nach oben zum Schlafzimmer meiner Eltern alles offen ist, aber immerhin muss ich so nicht mehr neben meinem Bruder liegen. Es vergehen keine zwei Minuten, da fängt Papa oben an zu schnarchen!
„Ruhe!“, brülle ich durchs ganze Nur-Dach-Haus. „Ich werde hier noch wahnsinnig bei eurem Geschnarche! Das ist Psychoterror!“
Entnervt setze ich mir die Riesenkopfhörer meines Vaters auf, schalte den Fernseher ein und finde irgendwann bei einer uralten Folge der Gilmore Girls in den Schlaf.
***
Die Stunden im Harz ziehen sich wie Kaugummi in die Länge, aber meine Eltern ignorieren die schlechte Laune ihrer Kinder einfach. Mama deckt singend den Frühstückstisch, während Papa Croissants für uns besorgt – sonst ist er viel zu geizig dafür, doch im Urlaub soll es uns an nichts mangeln. Wie sie mich nerven! Alle! Ich will nach Hause in meine Wohnung, will meine Ruhe und nicht ständig ein schlechtes Gewissen haben, weil ich ein undankbares, verzogenes Gör bin!
„Wollen wir nachher mal ohne die beiden gucken, was man hier machen kann?“, raunt Nico mir über den Tisch zu.
Das wundert mich. Er hat mich noch nie irgendwo mit hin genommen, wo es peinlich für ihn sein könnte. Es ist nicht so, dass wir ein schlechtes Verhältnis zueinander haben, aber Nico ist nicht stolz auf seine kleine, süße Schwester. Alle Welt denkt ja immer, dass es nichts Tolleres als einen älteren Bruder gibt – aber da muss ich leider passen. Fairerweise gebe ich allerdings zu, dass ich auch nicht besonders stolz auf ihn bin. Er ist einfach da. Genau wie meine Eltern gehört er dazu, aber ich würde bei keinem der Dreien auf die Idee kommen, etwas mit ihnen zu unternehmen, was sich außerhalb eines Geburtstagsbesuchs bei Oma abspielt. Jetzt ist das anders. Ich habe keine Alternative und Nico offensichtlich auch nicht.
„Okay. Aber bald! Ich dreh sonst durch“, flüstere ich zurück.
„Na, ihr beiden, was besprecht ihr so Wichtiges?“, fragt meine Mutter.
„Können Nela und ich das Auto haben? Wir wollen ein bisschen gucken, was so los ist. Könnte allerdings später werden.“
„Wo wollt ihr jetzt denn hin? Ich mag ein alter Knochen sein, aber um 11 Uhr vormittags findet im Harz bestimmt keine große Party statt – das weiß sogar ich!“, sagt Papa.
„Keine Ahnung. Vielleicht wird’s auch nur ein Kaffee und wir sind schneller wieder hier, als es euch recht ist. Also, kriegen wir den Wagen?“
„Ja, klar. Dann haben Mama und ich sturmfrei!“ Er zwinkert ihr zu. Ich glaub, mir wird ein bisschen übel.
Mama verzieht das Gesicht, als wolle sie sagen: Oh ja, genau darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Aber sie ist tapfer, lächelt in die Runde.
„Ich finde es gut, dass die Kinder mal für sich sein wollen. Na, zischt schon ab. Aber nehmt eine Jacke mit, wer weiß, wie heute das Wetter wird!“
„Mama! Wir sind keine Babys mehr!“, sagen wir wie im Chor und müssen alle lachen.
Leider fährt Nico wie ein Henker; das hatte ich total ver drängt. Er schneidet die Kurven, beschleunigt als wären wir auf der Flucht und zeigt anderen Verkehrsteilnehmern den
Weitere Kostenlose Bücher