Perlentod
der Tür stand.
»Komm rein!« Schon auf den ersten Blick, sah Senta, dass es Rebecca gehörig erwischt hatte. Eine glühend rote Nase in blassem Gesicht, die aschblonden Haare zu einem strähnigen Zopf gebunden stand ihr die Erkältung ins Gesicht geschrieben.
»Möchtest du was trinken?«, krächzte Rebecca und öffnete die Tür zur Küche. Ein ziemlich kleiner Raum lag dahinter. Bei den vielen Dachschrägen, die sich entlang der Arbeitsfläche immer tiefer zogen, war es ein Wunder, dass sich Rebecca nicht den Kopf stieß.
»Gerne ein Wasser«, murmelte Senta geistesabwesend und fragte sich, wer noch alles in dieser puppenstubengroßen Wohnung lebte. Denn auch das Wohnzimmer, in das Rebecca sie nun führte, war ähnlich klein. Im Vergleich dazu war selbst Sentas Zimmer in München riesengroß gewesen. Sie setzten sich auf das Sofa und Rebecca erzählte, dass sie schon seit Tagen nicht mehr herausgekommen war.
»Erst seit heute kann ich überhaupt wieder aufstehen. Und wir haben leider keinen Balkon«, stöhnte sie. »Die ganze Zeit hier drinnen hocken ist ziemlich ätzend.« Verlegen lächelte sie Senta an.
»Aber eine super Aussicht habt ihr«, entgegnete Senta, die von einem der Fenster aus den Blick über die Dächer der umliegenden Häuser schweifen ließ.
»Dort drüben hat Frau Polsterschmidt gewohnt.« Rebecca hatte sich neben sie gestellt und deutete auf ein Einfamilienhaus, das so gar nicht zu der umliegenden mehrstöckigen Bebauung passen wollte.
»Hast du sie gekannt?«
»Mein Vater arbeitet ja hier im Museum. Und die Polsterschmidt hat sich da auch engagiert«, erzählte Rebecca. »Furchtbare Sache ist das. Ich hoffe, die Täter werden bald gefasst.«
»Weißt du, wie sie so war? Ich mein als Lehrerin? Miriam und ihre Hofdamen lassen ja kein gutes Haar an der Zuckerwatte, äh, Frau Polsterschmidt.«
»Von diesen vier Giftspritzen würde ich mich an deiner Stelle fernhalten«, brauste Rebecca auf. »Die sind nicht nur eingebildet und selbstgerecht. Die haben schon Schlimmeres angestellt, als nur schlecht über Leute zu reden. Provozier sie nicht. Die gehen über Leichen.«
»Über den Fundort von Leichen allemal«, bemerkte Senta und erzählte Rebecca von der Mutprobe.
»Und wie hat Miriam heute reagiert? Immerhin hast du nicht das getan, was sie von dir verlangt hat. Sie ist doch bestimmt stinksauer!«
»Ja, das war sie in der Tat. Heute Morgen haben die vier mich vor der Schule abgefangen und ziemlich finster angestarrt. Keine Ahnung, was die vorhatten. Einen Moment später kam die Schneider vorbei, da haben sie sich verzogen. In der Pause dann hat mich Miriam nach dem Schlüsselbund gefragt. Ich habe ihn ihr gegeben und gemeint, dass die Scheune ohnehin nicht abgeschlossen ist und dort bestimmt das halbe Dorf ein und aus geht. Sie hat zwar keine Miene verzogen, aber ich bin sicher, dass sie mit so einer Antwort nicht gerechnet hat.«
»Mit Sicherheit nicht«, sagte Rebecca mit einer Mischung aus Angst und Anerkennung in ihrer Stimme.
»Aber nimm dich lieber in Acht. Ich würde die nicht provozieren. Diese Clique hat…« Rebecca stockte, als ein Schlüssel in der Wohnungstür zu hören war.
»Das ist Paps. Der nervt vielleicht«, flüsterte Rebecca Senta zu und schon ging die Wohnzimmertür auf. Rebeccas Vater trug einen Anzug und sah mit seinen grauen Locken auf dem Kopf und den freundlichen Augen aus, als ob er immerzu lachen würde. »Du hast ja Besuch, Rebeccalein«, stellte er erfreut fest und reichte Senta die Hand.
»Ich bin kein Baby mehr. Du musst nicht jeden Mittag heimkommen«, meckerte Rebecca.
»Aber du bist doch meine kranke Tochter.« Herr Lobach strich ihr sanft über den Kopf.
»Wir müssen Schulsachen besprechen.« Rebecca sprang auf und zog Senta mit sich in ihr Zimmer.
Senta staunte nicht schlecht. Rebeccas Zimmer war noch kleiner als die Küche und die Dachschräge reichte hier beinahe bis auf den Boden. Darunter lag eine Matratze, die augenscheinlich als Bett diente. Ein kleiner Schreibtisch, über dem ein Hängeregal angebracht war, stand an der nicht schrägen Wand, davor lag ein gemütlicher Sitzsack auf dem Boden. Mehr Einrichtungsgegenstände gab es in Rebeccas Zimmer nicht und weitere hätten auch nicht hineingepasst.
»Willkommen in meinem Campingzelt«, witzelte Rebecca, der Sentas erstaunter Blick nicht entgangen war. »Wir wohnen etwas beengt, Paps und ich.«
»Wo hast du denn deine Klamotten und so?«
»In Paps Schlafzimmerschrank.«
»Ach so.«
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