Perlentod
Viertelstunde bis zu der alten Sägemühle, in der Mos Familie wohnte. Der Bach rauschte seitlich unter dem Haus durch und ein großes rostiges Mühlenrad hing still über dem sprudelnden Wasser. Senta stellte sich vor, wie hier einst gearbeitet worden war; wie das Mühlenrad sich in einer Affengeschwindigkeit gedreht haben musste, während im Inneren die Säge mit lautem Ritscheratsch wuchtige Baumstämme zu Brettern zerteilte. Der Krach rund um die Säge musste ohrenbetäubend gewesen sein. Ganz im Gegensatz zu heute. Das große Gebäude, das von der Abendsonne in ein warmes Licht getaucht, neben dem rauschenden Bach stand, hätte kaum mehr Ruhe und Frieden ausstrahlen können.
»Willst du da Wurzeln schlagen?«, riss Senta eine bekannte Stimme aus ihren Gedanken. Mo war aus der Tür getreten und schritt ihr entgegen.
»Ich habe mir gerade vorgestellt, wie es früher hier ausgesehen haben muss«, antwortete Senta.
»Das musst du dir nicht vorstellen. Das kann ich dir zeigen«, lachte Mo und führte sie ins Haus. Im Flur hingen große Schwarz-Weiß-Fotos. Alte Fotos, die von einem geschäftigen Treiben rund um die Mühle zeugten.
»Das ist mein Großvater«, Mo tippte auf das Bild eines Mannes in hohen Stiefeln und mit Lederschürze. »Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt. Er ist früh gestorben. Sein Tod war auch das Ende der Sägemühle. Mein Vater hat sie umgebaut«, erklärte er.
»Jetzt gefällt es mir hier besser«, meinte Senta und Mo führte sie in die große Wohnküche, in deren Mitte ein riesiger alter Herd stand. Jeder mit einem Saft bewaffnet, setzten sie sich auf die Terrasse. Hier waren nur Wasserrauschen und Vogelgezwitscher zu hören.
»Wo sind deine Leute?«, wunderte sich Senta.
»Meine Mutter ist mit Clara beim Reiten und Papa ist beim Schützenverein«, erklärte Mo augenrollend. »Mich will er auch immer dazu bringen. Aber ich habe keinen Bock.«
Senta konnte das verstehen. Sie fand Schießen auch furchtbar. So kamen sie ins Gespräch über die manchmal seltsamen Vorstellungen ihrer Eltern und Senta vergaß darüber fast den Anlass ihres Besuchs.
»Die Wette werde ich wohl gewinnen«, fiel es ihr plötzlich ein. »Eure Katze lässt sich ja noch nicht einmal blicken. Die spürt wahrscheinlich, was ich für eine bin.«
»Und was für eine bist du?«, hakte Mo nach und seine Planetenaugen hefteten sich auf Senta, der es ganz heiß wurde.
»Eben so eine Katzenhasserin«, antwortete sie und im nächsten Augenblick war ihr der harte Ausdruck unangenehm. Schließlich liebte Mo Katzen und sie wollte ihm nicht zu nahetreten.
»Das wollten wir doch erst noch herausfinden. Ob du wirklich eine Katzenhasserin bist, meine ich. Suse wartet schon auf dich«, beeilte sich Mo zu widersprechen und deutete hinter Senta. Erstaunt drehte sie sich um und zuckte zusammen, als sie direkt in zwei grüne Augen sah. Die Katze lümmelte auf der Fensterbank, das Köpfchen zwischen die Vorderpfoten gelegt. Anders als ein Hund es tun würde, schaute Suse direkt in Sentas braune Augen, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu regen. Selbst als Senta ihren Stuhl mit lautem Schaben einen halben Meter von ihr abrückte, reagierte sie nicht schreckhaft. Sie bewegte lediglich die Öhrchen. Dann schloss sie die Augen und begann zu schnurren. Senta konnte ihre Verblüffung nicht verheimlichen. Bisher hatte sie immer nur Katzen erlebt, die beim Anblick eines fremden Menschen wie ein geölter Blitz das Weite suchten. Katze Suse war eindeutig anders.
»Suse scheint dich zu mögen«, sagte Mo, der aufgestanden war und nun dicht neben Senta kauerte. »Sie schnurrt nur, wenn nette Menschen um sie herum sind. Würdest du ihr einen Gefallen tun?«
»Ich soll deiner Katze einen Gefallen tun?«, erwiderte Senta belustigt.
»Sie würde gerne einmal an deiner Hand schnuppern. Du musst sie ihr nur hinhalten.«
Als Senta nicht gleich reagierte, ergriff Mo ihren rechten Arm am Handgelenk und führte ihre Hand zum Kopf der Katze.
Mos Berührung löste ein Kribbeln in ihrem Bauch aus. Gott, machte dieser Junge sie nervös. Besser sie vermied, Mo direkt anzuschauen. »Und wenn die mich kratzt?«, wehrte sie stattdessen halbherzig ab.
»Dann hast du deine Wette gewonnen«, meinte Mo und hielt Sentas Handgelenk weiter fest. Als sie kurz zu ihm hinuntersah, blieb ihr Blick nun doch an seinen Augen hängen. Sentas Puls begann zu rasen. Um Mos eindringlichem Blick zu entgehen, wandte sie sich Suse zu. Die schwarze Katze hatte sich ein
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