Perlentod
nicht wenigstens einmal am Tag mit Leni zu sprechen. Und nun? Senta konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sie das letzte Telefonat geführt hatten. Sofort empfand sie wieder diesen finsteren Groll gegen Leni und Cora. Wie konnten die beiden ihr das antun? »Treulose Bande«, fluchte Senta vor sich hin und erklomm einen Griff nach dem nächsten.
So kam sie schwer atmend am Ende ihrer Route an und ließ sich erschöpft am Seil herab. Ein solches Klettertempo war unvernünftig. Sie riss sich zusammen und ging die nächste Route konzentrierter an. Am Ende ihres Trainings war sie einigermaßen zufrieden mit sich, auch der Groll hatte sich in Luft aufgelöst. Stattdessen stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn Mo tatsächlich einmal mit in die Kletterhalle käme, und der Gedanke gefiel ihr außerordentlich gut.
Zehka kam auch am folgenden Tag nicht in die Schule. Niemand schien ihn zu vermissen – im Gegenteil. Senta hörte, wie einige ihrer Klassenkameraden sich abfällig über ihn äußerten. Fast alle schienen davon auszugehen, dass Zehka tatsächlich etwas mit Bettinas Verschwinden zu tun hatte. Senta fand das ziemlich mies. Zugegeben, Zehka war wirklich kein Engel, aber bisher hatte er noch keinem aus der Klasse ernsthaft etwas getan. Dass man ihn so schnell aburteilte, war beängstigend. Nur Miriam und ihre Hofdamen verhielten sich auffällig unauffällig. Die Ruhe vor dem Sturm, dachte Senta. Fragte sich nur, welcher Sturm da heraufbrausen würde. Und wann.
Die Gelegenheit bot sich in der fünften Stunde. Ihre Sportlehrerin hatte wieder einmal die Idee gehabt, ihre Schüler, die sie allesamt für Stubenhocker hielt, auf den nahen Sportplatz zu jagen, damit sie dort in der prallen Sonne mit einem Dreitausend-Meter-Lauf ihre »bewegungsfernen Körper stählten«. Auf halber Strecke begann Senta zu keuchen und simulierte einen Kreislaufkollaps.
»Typisch. Ihr jungen Dinger könnt nur in der Disco aufdrehen. Trink etwas und dann läufst du weiter«, befahl die Lehrerin auf gewohnt herablassende Art und Senta trottete mit hängendem Kopf in die Umkleidekabine. Erst als sie sicher war, dass niemand sie sah, legte sie einen schnellen Sprint ein.
Miriam hatte ihre Tasche zwar in einem der Spinde abgestellt, aber, wie die meisten, diesen nicht abgeschlossen, sondern das Schloss lediglich lose an der Tür befestigt. Ihr Luxus-Handy lugte aus der Tasche, als ob es nur darauf wartete, benutzt zu werden. Senta zog es heraus und klickte sich in den Nachrichteneingang. Blöderweise kannte sie den Namen von Miriams derzeitigem Typen nicht, dafür fand sie aber unzählige SMS-Nachrichten mit eindeutigem Inhalt von einem Toni. Schnell notierte sie die Nummer. »Und nun noch eine kleine Nachricht abschicken«, murmelte Senta vor sich hin, während sie auf »Mitteilung verfassen« ging, Moritz’ Handynummer eingab und schrieb: Moritz, ich weiß, du musst mich auf ewig hassen, für das, was ich dir damals angetan habe. Ich habe das alles nur gemacht, weil ich so verknallt in dich gewesen bin. Und ich bin es immer noch. Du bist der süßeste Typ, den ich kenne. Habe ich noch eine Chance? Miriam.
Senta zögerte einen kurzen Augenblick, die Nachricht abzusenden. Konnte sie das wirklich machen? Doch dann dachte sie daran, wie schrecklich sich Mo damals gefühlt haben musste, als ihm Miriam so übel mitgespielt hatte, und drückte auf »Senden«. Nun gab es kein Zurück mehr. Jetzt konnten sie nur noch hoffen, dass ihr Plan aufging. Vielleicht, dachte sie, schaffen wir es, nicht nur die Clique zu spalten, sondern vielleicht gelingt es ja auch noch, die alte Lügengeschichte über Mo aufzudecken. Eilig steckte Senta das fremde Eigentum wieder an seinen Platz, schloss die Spindtür und schnappte sich die Wasserflasche.
Als sie auf den Platz zurückkehrte, empfing die Sportlehrerin sie mit einem nervösen »Hopphopphopp, meine Dame. Weiter geht’s!«.
Rebecca vermied es, Senta anzuschauen. Erst, als sie beim Dehnen nebeneinanderstanden, zwinkerte Senta ihr einmal kurz zu und lächelte. Erleichtert lächelte Rebecca zurück. Nun galt es, den nächsten Köder auszuwerfen. Das war Rebeccas Part.
Am Ende der Geschichtsstunde verließ sie direkt vor Rita den Unterrichtsraum, zog ihr Buch heraus und ließ dabei, scheinbar versehentlich, den Zettel mit dem fingierten Briefwechsel heraussegeln. Senta beobachtete, wie Rita sofort nach dem Zettel grabschte und ihn in ihrer Jackentasche verschwinden ließ. Sie musste grinsen. Auf die
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