Perlentod
zurück.
»Suchst du etwas?«, durchschnitt eine krächzende Stimme die Stille des Waldes. Senta zuckte zusammen und drehte sich um. Von irgendwoher musste sich die Okkulta an sie herangepirscht haben, denn plötzlich stand sie keine sechs Meter entfernt hinter dem Zaun.
»Ich, äh«, stotterte Senta und bewegte sich nicht.
»Ich weiß, warum du hier herumschnüffelst«, keifte die alte Frau und kam mit federnden Schritten auf Senta zu. Für ihr Alter schien sie noch ziemlich gut zu Fuß zu sein.
»Hier wirst du nichts finden! Verschwinde von meinem Grundstück!«, schrie sie laut und Senta lief los. Rasch sprintete sie den Weg zurück, vorbei an Koschels Villa, bis sie endlich wieder die sichere Wohngegend erreichte hatte. Erst hier verlangsamte sie ihr Tempo. Schnurstracks trat sie den kürzesten Weg nach Hause an, in der tiefen Überzeugung, dass den Koschel-Geschwistern die Bosheit aus allen Poren wuchs.
»Du wolltest mich sprechen?«
»Ja. Ich wollte Ihnen Bescheid sagen, dass ich gestern Mittag eine der alten Postkarten mitgenommen habe. Morgen werde ich sie Rebecca zurückgeben«, begann Senta das Telefonat.
»Du kannst sie gerne behalten«, lachte Herr Lobach freundlich am anderen Ende der Leitung. Er schien sichtlich verwundert, was die neue Freundin seiner Tochter mit ihm am Sonntagnachmittag zu besprechen hatte.
»Da ist aber noch etwas«, fuhr Senta fort. »Ein altes Tagebuch, über dessen Inhalt ich mich gerne einmal mit ihnen unterhalten würde.«
»Ein altes Tagebuch?« Herr Lobach klang erstaunt.
»Sagt ihnen der Name Richart Rhön vielleicht etwas?«, fuhr Senta fort.
»Ich weiß nicht recht…«
»Ein alter Freund der Koschel-Geschwister. Schon lange tot und im Jahre 1959 wegen einem Verbrechen, wahrscheinlich Raub, angeklagt«, gab Senta weitere Stichworte, in der Hoffnung, der Heimatgeschichtler Lobach würde sich vielleicht auch für alte Kriminalfälle interessieren.
»Das ist ja interessant«, reagierte er sogleich. »Du musst den Raubmord auf das Juweliergeschäft Mayerling meinen. Im Frühjahr 1959. Ein sehr spektakulärer Fall, weil die Beute, unter anderem ein paar sehr wertvolle Perlenketten, nie gefunden wurde und der Hauptverdächtige in der Untersuchungshaft gestorben ist.«
»Raubmord, sagen sie?«, fragte Senta aufgeregt.
»Ja, der Juwelier wurde bei dem Überfall angeschossen und verstarb einige Wochen später im Krankenhaus«, berichtete Rebeccas Vater. »Interessiert dich so was?«
»Ja, das interessiert mich brennend«, meinte Senta und war überglücklich, als Herr Lobach ihr anbot, den Fall zu recherchieren. Schließlich saß er im Museum an der Quelle zu den alten Akten. »Kannst du mir das Tagebuch einmal zeigen? Das interessiert mich wirklich sehr!«, gestand er und schob noch eine Frage hinterher, die Senta einen kalten Gänsehautschauer über den Rücken gleiten ließ: »Woher hast du es überhaupt?«
Senta schwieg.
»Bist du noch da, Senta?«
»Ich habe es bei uns im Schuppen gefunden«, besann sie sich zu antworten und versprach, ihm am nächsten Nachmittag das Tagebuch zu zeigen.
19
Als die neue Schulwoche anbrach, konnten sich Senta und Rebecca davon überzeugen, dass ihr Plan aufgegangen war.
Weder Miriam noch Kim oder Rita redeten mit Lolle, der man die Verwirrung über die plötzliche Abfuhr ihrer Freundinnen deutlich ansah. Wie ein Häufchen Elend saß sie in der letzten Reihe und warf immer wieder flehende Blicke in Richtung Miriam, die ihre einstige Verbündete mit völliger Nichtbeachtung strafte. Sicher hätte sie sich im weiteren Verlauf des Schulvormittages noch zu fiesen Sticheleien gegen Lolle hinreißen lassen, wenn da nicht Zehka gewesen wäre, der wieder aufgetaucht war und Druck machte. Scheinbar hegte er, genau wie Senta, den Verdacht, dass Miriam ihn bei den Bullen angeschwärzt hatte. Und so lümmelte er in den Pausen mit seinen Kumpels in der Nähe von Miriam herum und ließ sie keinen Schritt alleine gehen. Er ließ keinen Zweifel daran, wie aufgebracht er war, und es war erstaunlich zu sehen, wie kleinlaut Königin Miriam plötzlich wurde.
Aber die denkwürdigste Szene des Schultages spielte sich auf dem Heimweg ab. Senta und Rebecca standen vor der Schule und diskutierten die neusten Ereignisse, als Miriam an ihnen vorbeistolzierte.
»Pass bloß auf, wenn du aufs Klo gehst«, raunte sie Senta zu. »Am Ende triffst du dort auf Moritz und erlebst dasselbe wie ich damals!«, zischte sie und erinnerte Senta nicht zum ersten Mal
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