Perlentod
ihr Blick auch Senta, die sie nachdenklich musterte. Reflexartig wich Senta dem forschenden Blick der Lehrerin aus. Sie konnte sich vorstellen, was die Oschau jetzt über sie dachte, und fühlte sich wie jemand, der gerade kopfüber in einen Misthaufen gefallen ist und vor dem sich nun alle ekeln.
Als die Stunde vorüber war, kehrten Miriam, Kim und Rita in Begleitung des Direktors in die Klasse zurück.
»Fräulein Herzog und Carsten Krabbe«, rief der Direktor in den Raum. »Kommt bitte mit mir.«
Abermals wurde es in der Klasse unruhig, Rebecca zwängte sich durch die Schülertraube, die sich am Eingang gebildet hatte.
»Darf ich mitkommen, ich habe einiges zu sagen«, bat sie. Aber der Direktor würdigte sie keines Blickes und schob Zehka und Senta stumm Richtung Flur. Erst als der Schulleiter vor ihr stand, merkte Senta, welch imposante Erscheinung er war. Bei einer Körpergröße von mindestens einem Meter neunzig brachte er bestimmt mehr als hundert Kilo auf die Waage. Sein schwarzer Bart, der seinen schmalen Mund fast gänzlich versteckte, verstärkte seine autoritäre Ausstrahlung noch. Senta konnte die Verärgerung des Direktors nahezu spüren, sie machte sich auf ein Donnerwetter gefasst. Sogar der vorlaute Zehka hielt ausnahmsweise den Mund, während sie den Gang hinunterliefen. Senta spürte, wie ihre Knie nachzugeben drohten. In so eine prekäre Lage war sie in ihrem bisherigen Schulleben noch nie gekommen und sie hatte keine Ahnung, wie sie aus der Nummer wieder herauskommen sollte. Auch musste sie an Mo denken. Miriam hatte es ja schon einmal mit Leichtigkeit geschafft, sich vor dem Direx als Opfer auszugeben und einen Unschuldigen als Täter hinzustellen. Warum sollte ihr dies nicht auch ein zweites Mal gelingen?
Erst als der Direktor die Bürotür hinter ihnen geschlossen und sie vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatten, brach er das Schweigen und donnerte los: »Wenn das, was mir eben zu Ohren gekommen ist, sich bewahrheiten sollte, dann sieht es für euch beide hier ganz schlecht aus. Und für dich, Carsten, ganz besonders schlecht!«
»Was soll ich denn jetzt schon wieder verbrochen haben?«, meldete sich Zehka zu Wort und Senta sah, wie sich seine klobigen Hände zu Fäusten ballten.
»Stimmt es, dass du dich seit Tagen als Bodyguard von Senta Herzog aufspielst?«, fragte ihn der Direktor.
Weil Zehka nur verständnislos nickte, antwortete Senta für ihn: »Er hat sich vor mich gestellt, nachdem ich permanent von Mitschülerinnen angegriffen wurde. Seither habe ich Ruhe.«
»Du behauptest also, dass du das Opfer von Angriffen warst?«
»Na klar ist die angegriffen worden«, brauste nun Zehka auf. »Von Miriam und ihren Tussen. Diese kleinen Luder haben in der Klasse fast alle im Griff. Aber gegen mich trauen sie sich nichts.«
»Das kann ich mir vorstellen«, ließ der Direktor mit scharfer Stimme verlauten und trug nun vor, was Miriam, Kim und Rita ihm berichtet hatten. Demnach sollte Senta, seit sie in die Klasse gekommen war, versucht haben, Unfrieden zu stiften. Unterstützung habe sie dabei von Zehka, Rebecca Lobach und noch einem ehemaligen Schüler der Schule bekommen, Moritz Block. Ein alter Bekannter, der bereits wegen eines Übergriffs auf eine Schülerin auffällig geworden und der Schule verwiesen worden sei. Momentan werde sogar ermittelt, ob er nicht auch etwas mit dem Verschwinden von Bettina Horicek zu tun hätte.
»Miriam hat mir übrigens auch erzählt, dass du, Senta, mit den Mobbingattacken gegen Lolle angefangen hast, weil Lolle einem jüngeren Schüler aus der Klasse 5b helfen wollte. Stimmt es, dass du ihm gedroht hast, seinen Arm zu brechen, wenn er dir nicht am Ende des Monats hundert Euro zahlt?« Wie in Trance schüttelte Senta den Kopf und spürte, wie sie dabei schrecklicher Schwindel ergriff.
»Das ist nicht wahr«, versuchte sie, sich zu verteidigen. Doch der Direktor fuhr mit seinen Anschuldigungen fort:
»Du scheust angeblich auch nicht davor zurück, Lehrer vor versammelter Mannschaft zu diffamieren. Ich werde in den nächsten Stunden in Erfahrung bringen, ob du Herrn Herzer vor der gesamten Klasse bloßgestellt hast.« Aus Sentas Gesicht war nun alle Farbe gewichen. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die unglaublichen Dinge, die der Direktor ihr anlastete, lösten bei ihr nicht nur Schwindelgefühle aus. Gleichzeitig stieg eine furchtbare Übelkeit in ihr auf. Gleich muss ich mich übergeben, dachte sie erschrocken und schaute
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