Perlentöchter
gewesen war, attestierte ihr die Französischlehrerin einen »übertriebenen Kolonialakzent«, was die ganze Klasse zum Lachen gebracht hatte.
Aber niemand lachte, als Miss Diamond, die sich immer auf die Ecke ihres Pults setzte, statt vor der Klasse auf und ab zu schreiten wie die anderen Lehrerinnen, alle herbeirief, um Helens Aquarell zu betrachten, das die Bäume draußen vor dem Fenster zeigte.
Stattdessen umringten sie es staunend. Beth war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. »Helen, das ist wunderschön. Wirklich wunderschön.«
Und Helen errötete, während aus der Klasse hinter ihr zustimmendes Gemurmel zu hören war. Von da an fiel ihr auf, dass sie mit einer gewissen Ehrfurcht behandelt wurde, selbst von den Mädchen, die sie bisher gemieden hatten, weil sie ohne Mutter aufwuchs und seltsame malaiische Wörter benutzte, weil sie zwischendurch vergaß, dass diese niemand hier verstand.
»Du hast wirklich Talent, Helen«, bemerkte Miss Diamond während einer Mittagspause, als die anderen Mädchen nach einer weiteren schweren Mahlzeit, die hauptsächlich aus gekochten Kartoffeln und undefinierbarem Fleisch bestanden hatte, das vielleicht Kaninchen war, schnatternd kleine Gruppen bildeten. »Hast du dir schon einmal überlegt, die Kunst später zu deinem Beruf zu machen?«
Wäre der ernste Gesichtsausdruck ihrer Lehrerin nicht gewesen, hätte Helen die Frage für einen Scherz gehalten. Aber sie kannte Miss Diamond gut genug, um zu wissen, dass sie es ernst meinte. »Meine Tante möchte, dass ich die Hauswirtschaftsschule besuche, wenn ich meinen Abschluss habe«, hörte sie sich antworten.
»Und was möchtest du?«
Helen stellte sich seit einiger Zeit dieselbe Frage, aber da gab es immer die Vorsilbe »Wenn der Krieg vorbei ist …«
»Vielleicht«, begann sie zögernd, »werde ich Krankenschwester. Ich möchte gern anderen Menschen helfen, und dann kann ich mich um Kranke kümmern, selbst wenn der Krieg vorüber ist.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, weil sie an ihre Mutter denken musste. Wäre sie schon erwachsen gewesen, als ihre Mutter krank wurde, hätte sie sich um sie kümmern können. Dann wäre sie vielleicht in der Lage gewesen, ihr zu helfen, statt ihr an einem ganz normalen Tag einfach einen Kuss auf die Wange zu drücken und ihr nachzusehen, während sie den Weg hinunterging, ohne zu ahnen, dass es kein Wiedersehen geben würde.
Helen spürte, wie Miss Diamond ihre Hand warm umschloss. »Ich weiß Bescheid wegen deiner Mutter«, sagte sie leise. »Meine Mutter ist auch gestorben, als ich noch ein Kind war, aber ich hatte wenigstens das Glück, dass mein Vater zu Hause war. Damals gab es keinen Krieg.« Sie zog ihre Hand weg, und Helen spürte leises Bedauern. »Weißt du, was mir damals geholfen hat?«
»Die Malerei.« Helen hatte das bereits selbst herausgefunden. »Mein Urgroßvater war ein Maler. Meine Mutter hat mir früher immer von ihm erzählt. Er hat Porträtstudien von ihr und ihrer Schwester – meiner Tante – angefertigt. Er hatte außerdem einen berühmten Förderer.« Sie suchte angestrengt nach dem Namen. »Sir William Giles. Meine Urgroßmutter saß früher manchmal Modell für ihn. Offenbar hängt ein Porträt von ihr in der National Gallery.«
»Meine Güte.« Helen wusste, wenn sie das einer der anderen Lehrerinnen erzählte, würden sie ihr keinen Glauben schenken, aber Miss Diamond zeigte aufrichtiges Interesse. »Dann hast du dein Talent vielleicht von ihm geerbt. Das ist eine ganz besondere Gabe, Helen. Vergeude sie nicht.«
Das tat sie nicht. Nach diesem Gespräch verbrachte Helen jede freie Minute im Kunstraum. Nach und nach wurden die Wände mit ihren Arbeiten vollgehängt, sodass es fast schon peinlich war! Aquarelle, beschloss sie, waren ihr »Lieblingsmedium«, ein Wort, das sie von Miss Diamond aufgeschnappt hatte und das sie nun mit wachsendem Selbstvertrauen verwendete, aber sie arbeitete auch gerne mit Pastellkreide und Kohlestiften, obwohl diese Flecken auf ihrer Schuluniform hinterließen, für die sie von der Hausmutter immer einen Tadel erhielt, wenn Waschwoche war.
Als die Zeit kam, in der sie Beths Familie wieder besuchen durfte (die Einladung war wie versprochen erfolgt!), wusste sie dieses Mal genau, was sie als Geschenk mitbringen würde. Und dieses Mal konnte es niemand wegwerfen, weil Miss Diamond es sorgfältig vor neugierigen Augen schützte.
»Mein liebes Kind«, rief Beths Mutter, als sie das Geschenk aus dem Zeitungspapier
Weitere Kostenlose Bücher