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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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amerikanischen Verlobten geheiratet habe, der in England stationiert war und mit dem sie nach Boston gehen würde, sobald der Krieg vorüber war.
    Helen schaute im Atlas nach, wo Boston war, und kam zu dem Schluss, dass es so weit in der Ferne lag, dass sie diese Diana wahrscheinlich niemals zu Gesicht bekommen würde, obwohl sie ihre Briefe natürlich beantwortete, weil sie das Gefühl hatte, ihre Mutter hätte das von ihr erwartet. Wie viele Kriegskinder nahm sie es hin, dass sie bestimmte Menschen vielleicht niemals wiedersehen würde. Hin und wieder befielen sie sogar Zweifel wegen Roger. Beth hatte gesagt, ihr Vater kenne »viele Leute in hoher Position«, was in Helens Kopf ein albernes Bild von Beths auf einem Berggipfel hockenden Vater entstehen ließ, ähnlich dem, von dem ihre Mutter ihr früher auf Borneo erzählt hatte. Beth hatte versprochen, dass ihr Vater diese Leute in hohen Positionen nach Roger fragen würde, aber es war nichts dabei herausgekommen.
    Unterdessen ließ ihr Vater sich, entgegen Tante Phoebes Ankündigung, dass er sie bald besuchen werde, nicht blicken. Irgendwie überraschte Helen das nicht. Es war nicht so, als verursachte ihr dies einen Stich im Herzen, wie wenn sie an ihre Mutter dachte. Dafür vermisste sie Frank und fragte ihre Tante immer wieder, warum Edna sie nicht in Somerset besuchen komme. Aber sobald sie diesen Namen erwähnte, wurden die Lippen ihrer Tante noch schmaler, obwohl das eigentlich unmöglich schien, und ihr wurde in eisigem Ton beschieden, das sei einfach nicht drin.
    Der Tonfall legte nahe, dass es für Helen klüger war, nicht weiterzubohren.
    An einem Frühlingsmorgen, mehrere Monate nach dem von Phoebe angekündigten Besuch ihres Vaters, als Helen im Klassenzimmer an ihrem Fensterplatz saß und die Minuten bis zur nächsten Stunde (endlich Kunst!) zählte, klopfte es an der Tür. Es war die Schulsekretärin, eine kleine, fröhliche Frau mit einer Nickelbrille, die der Mathematiklehrerin etwas ins Ohr flüsterte. Diese runzelte die Stirn und winkte Helen nach vorn zum Pult.
    Was hatte sie nun wieder angestellt? Kohleflecken auf der Bettwäsche? Oder vielleicht hatte jemand gepetzt, dass sie nachts unter der Bettdecke las. Was immer es sein mochte, Helen fand sich gleich darauf im Gang wieder, wo sie der Schulsekretärin zum Büro der Direktorin folgte.
    Nervös klopfte sie an die Tür. »Herein«, rief eine Stimme.
    Helen zwang sich, ihre Konzentration auf die Konturen der Tür zu richten, einer ihrer Lieblingstricks, um sich von der unvermeidlichen Standpauke abzulenken, die sie mit Sicherheit gleich erwartete, und öffnete die Tür. Am Fenster stand ein Mann, mit dem Rücken zu ihr, aber sie hätte die große, hünenhafte Gestalt auch ohne die lange Narbe im Nacken erkannt, wo keine Haare wuchsen.
    »Vater?«, sagte sie, und obwohl es wie eine Frage klang, war das nicht beabsichtigt.
    Als er sich umwandte, sah sie, dass er höflich lächelte, wie sie es von früher von ihm kannte, wenn er auf Borneo Gäste im Haus begrüßte. »Ah, Helen, da bist du ja«, sagte er, als wäre er derjenige, der in den letzten Jahren auf sie gewartet hatte. »Freut mich, dich zu sehen.«
    Sie ging auf ihn zu und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn pflichtbewusst auf die Wange zu küssen. Er wirkte leicht peinlich berührt, und Helen machte einen Schritt zurück, einen medizinischen und auch moschusähnlichen Geruch in der Nase, wobei sie beinahe über einen Stuhl stolperte, der hinter ihr stand. »Wie ich sehe, bist du noch genauso ungeschickt wie früher«, kommentierte ihr Vater in einem beinahe amüsierten Ton. »Du hast ordentlich Gewicht zugelegt, nicht? Wie ich sehe, wirst du hier tüchtig gemästet.«
    Er lachte schallend los, als hätte er etwas unheimlich Komisches gesagt, und die Direktorin lachte höflich mit, obwohl Helen den Eindruck hatte, dass sie es nicht lustig fand.
    »Bist du aus dem Krieg zurück, Vater?«, fragte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.
    Er nickte. »Leider bin ich als Invalide ausgemustert worden. Es ist halb so wild. Mein Bein hat ein paar Kugeln abbekommen.«
    Das Gesicht der Direktorin nahm einen ehrfürchtigen Ausdruck an.
    »Helen, ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass wir nach Borneo zurückgehen, sobald dieser verdammte Krieg vorbei ist.«
    Nach Borneo? Eine Woge der Panik überfiel sie. »Kommen die Jungs mit?«
    »Nur Frank. Du weißt ja Bescheid wegen Roger.«
    Sie nickte. »Er hält sich immer noch

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