Perlentöchter
oben in ihrem Wohnzimmer Gäste hatte. Ein Zuhause, in dem es nicht ständig wegen der Gasrechnung Streit gab und in dem sie nicht warten musste, bis eine andere Frau in der Küche fertig war, bevor sie hineingehen konnte.
Am Abend vor dem Umzug in die kleine Drei-Zimmer-Maisonette-Wohnung ohne Garten am Ende der Straße hörte Helen Sandra im Bad laut schluchzen.
Sie klopfte leise an die Tür.
»Was?«, kam schniefend zurück.
»Alles in Ordnung?«, fragte Helen.
»Was denkst du denn?«
Langsam kehrte Helen, die sich schrecklich fühlte, in ihr Schlafzimmer zurück. Bob schlief bereits, mit leicht offenem Mund, aus dem ein unattraktiver Speichelfaden lief.
Oben konnte sie das Knarren der Holzdielen hören, als ihre Tochter die Tür des kleinen Kinderzimmers öffnete. Ihre Schwester und sie schliefen darin in einem Etagenbett, was die einzige Möglichkeit war, zwei Schlafplätze darin unterzubringen.
»Sandra, ist alles in Ordnung?«, hörte sie Caroline leise fragen.
Und prompt wurde die Badezimmertür geöffnet. Helen schlich sich wieder die Treppe hoch und hörte, wie ihre Tochter die ältere Frau tröstete. »Ich komme dich jeden Tag besuchen, versprochen. Und ich helfe dir weiter mit dem neuen Geld.« Sandra kam mit der Umstellung auf das Dezimalsystem nicht zurecht. »Und ich begleite dich nach wie vor beim Einkaufen.«
Sie fühlte sich wie der Bösewicht der Familie statt wie eine Mutter, die einfach nur versuchte, ihre Ehe zu retten, dachte Helen verärgert, während sie in ihr Bett zurückkehrte.
37
Manchmal kam es Helen vor, als hätte sie nie woanders gelebt als in Ealing. Es schien, als wären der Dschungel von Borneo und die Tatsache, dass sie früher einen Orang-Utan als Haustier gehabt hatte, nichts als ein Traum in dieser Welt. Einer Welt, in der das Highlight der Woche darin bestand, sich Mit Schirm, Charme und Melone im Fernsehen anzuschauen oder einen Einkaufsbummel im Chelsea Girl zu machen mit seinem abgedunkelten Verkaufsraum und der seltsamen Musik. Einmal kaufte Helen dort eine neonblaue Stretchhose für Caroline, die damals in Mode war. Wenigstens hielt sie warm, im Gegensatz zu diesen schrecklichen Hotpants, die es förmlich darauf anlegten!
Wenn sie mit Bob hin und wieder ihren Pflichtbesuch bei Phoebe und Victor machte, die zunehmend gebrechlicher wurden und offenkundig damit überfordert waren, den alten Herrensitz in Schuss zu halten, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie als Jugendliche hier gelebt hatte. Wie, fragte sie sich bei diesen Besuchen, während sie bemüht war, Grace stillzuhalten, war sie bloß klargekommen? Einmal schickte sie Caroline im Sommer eine ganze Woche lang zu Tante Phoebe, auf deren überraschende Bitte hin. Caroline war damals fast vierzehn und erklärte nach ihrer Rückkehr, es habe ihr gefallen – sie habe einfach einen Roman von Jane Austen gelesen und gemalt. Und ja, sie würde gerne wieder hinfahren, falls man sie einlud.
Ealing war dagegen ein typischer Vorort. In den Sechzigern zählte es noch eher zu den Randgebieten der Stadt, anders als zum Beispiel Golders Green. Es behielt immer einen leicht vornehmen, ländlichen Charakter wegen seiner großen Grünflächen. »Das Beste von beiden Welten«, sagten ihre Nachbarn immer fröhlich. »Mit der U-Bahn ist man in einer halben Stunde in der Stadt, und hier braucht man nur die Straße hochzugehen und ist im Grünen.«
Mit »Stadt« war, wie Helen früh gelernt hatte, London gemeint, wo sie zweimal im Jahr mit den Mädchen den Zahnarzt aufsuchte (sie hatte immer noch ihren alten Zahnarzt aus ihrer Zeit als Schwesternschülerin) und hin und wieder eine entfernte Großtante mütterlicherseits besuchte, die in einem großen vierstöckigen Gebäude nahe der Queen’s Gate wohnte. Als Bob Helen bei einem dieser Besuche begleitete, wurde er immer stiller, bis er auf der Rückfahrt fragte, was um alles in der Welt der Mann ihrer Großtante von Beruf sei, dass er so viel verdiente, um sich diesen Kasten zu leisten. Tatsächlich hatte dieser das Haus halb geerbt, halb mit einem Kredit finanziert, was aber Bob nur zum Seufzen brachte, und Helen hatte das Gefühl, dass er sie nie als seinesgleichen betrachten würde.
Es war dasselbe, wenn er Caroline vor den Häusern ihrer Schulfreundinnen absetzte. Offenbar wohnten alle in großen, freistehenden Eigenheimen, die ganz anders waren als ihre kleine Wohnung ohne Garten. »Was machen die alle?«, sagte Bob wieder, während er sich über sein eigenes
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