Perlentöchter
wo sie den Sommerfeiertag verbrachten. Die Mädchen spielten zufrieden am Strand mit ihren Eimern und Schaufeln, und zur Abwechslung wurde Caroline nicht von Grace gezwickt und Grace nicht von Caroline geärgert. Bob machte unterdessen ein Nickerchen im Bungalow. Jemand am Strand hatte ein Radio mitgebracht, und Helen erkannte die Klänge von Helen Shapiros »Lipstick on your collar«, die ihr jedes Mal eine Gänsehaut verursachten.
Maggy machte ausnahmsweise ein ernstes Gesicht. »Wenn seine Scheidung durchkommt.«
»Er ist verheiratet?« Helen war sich dessen nicht bewusst gewesen.
»Er wollte seine Frau ohnehin verlassen.« Der Ton ihrer Freundin war rechtfertigend, was vermuten ließ, dass sie bereits Kritik für ihre Beziehung eingesteckt hatte.
»Hat er Kinder?«
»Zwei. Aber die sind praktisch erwachsen. Vierzehn und zwölf.«
Das ist nicht erwachsen, lag Helen auf der Zunge. Das ist alt genug, um verletzt zu sein, wenn der Vater einen für eine andere Frau verlässt. Und aus irgendeinem Grund fand Helen es notwendig, aufzustehen und so zu tun, als würde sie die Kordel an Graces Badeanzug zubinden, um das Gespräch mit ihrer Freundin nicht fortsetzen zu müssen.
Unterdessen wechselte Bob immer wieder seine Arbeitsstelle. Seine Tätigkeit im Außendienst hatte er schon vor langer Zeit aufgegeben, nachdem es sich während Helens Krankenhausaufenthalts als nicht tragfähig erwiesen hatte, dass er unter der Woche nicht zu Hause war. Stattdessen hatte er schlechter bezahlte Vertreterjobs angenommen, die sich auf den nahen Umkreis beschränkten. Um zu helfen, sparte Helen an allen Ecken und Enden, bis sie tatsächlich genug für eine Kaution für ein eigenes Zuhause auf der Seite hatte. Sie hatte sich im Viertel bereits nach Häusern umgeschaut, die sie sich leisten konnten. Tatsächlich kam wohl eher eine Wohnung in Betracht als ein Haus, weil sie einfach nicht genug verdienten. Seit dem Unfall und Graces Geburt war Helen nicht in der Lage gewesen, arbeiten zu gehen, obwohl sie hoffte, wieder im Krankenhaus unterzukommen, wenn Grace eingeschult wurde.
Caroline besuchte inzwischen eine sehr gute Ganztagsschule für Mädchen, deren Gebühren sich nach dem Einkommen der Eltern richteten. Ihre Tochter war wegen ihrer sehr guten Leistungen in Englisch und Kunst aufgenommen worden. Aus diesem Grund mussten sie auch nur eine geringe Schulgebühr entrichten, obwohl es immer noch mehr war, als sie sich eigentlich leisten konnten. Dies hatte wieder zu einem Streit geführt: Bob wollte Caroline ursprünglich auf die nahe gelegene Schule im Viertel schicken, wo sie später die Aufnahmeprüfung für eine weiterführende Schule machen konnte.
Als Caroline sechzehn war, bereitete Helen den nächsten Schritt vor. Jahrelange Erfahrung hatte sie gelehrt, wie sie Bob handhaben musste. Sie durfte ihm nur nicht zu viel Verantwortung übertragen, und sie durfte nicht erwarten, dass er Probleme löste. Was der Grund war, warum sie die Wohnung zuerst besichtigte, bevor sie ihm beiläufig die Anzeige zeigte und ihn darauf hinwies, dass sie sich die Wohnung leisten konnten und dass es höchste Zeit war, dass die Mädchen ihr eigenes Reich bekamen.
»Aber wie soll meine Mutter allein zurechtkommen? Sie ist sechsundsechzig. Sie ist auf uns angewiesen.«
»Wir bleiben ja in der Nähe, Bob. Die Wohnung ist am anderen Ende der Straße. Wir sind jetzt sechzehn Jahre verheiratet. Mittlerweile haben die sogar schon einen Mann zum Mond geschickt!« Sie hatte zu Maggy früher immer scherzhaft gesagt, dass man zuerst einen Mann zum Mond schicken würde, bevor es ihr gelang, Bob von seiner Mutter loszueisen, und nun war es tatsächlich wahr geworden! »Wir brauchen unser eigenes Zuhause.«
Sandra weinte bitterlich, als sie davon erfuhr, was Helen überraschte, da sie erwartet hatte, ihre Schwiegermutter würde sich darüber freuen, dass sie nach all den Jahren des Streits ging. Dann kam Caroline von der Schule mit ihrem weichen braunen Lederrucksack auf dem Rücken und wollte wissen, was los war. Als sie hörte, dass sie bei ihrer Großmutter ausziehen würden, weinte sie auch.
Helen fühlte sich schrecklich. Aber sie wusste auch, wenn Bob und sie überleben wollten, brauchten sie ein eigenes Zuhause. Ein Zuhause, in dem sie beide nicht leise sein mussten bei den seltenen Gelegenheiten, in denen Bob ihr nicht den Rücken zudrehte. Ein Zuhause, in dem sie Grace bei ihren Tobsuchtsanfällen nicht zum Schweigen bringen musste, weil Sandra
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