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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Wahrnehmung des fremden Fahrers mußte er dabei eine unverfängliche Körperhaltung einnehmen, er könnte sich eine Zigarette in den Mund stecken, die er wegwarf, sobald das Auto außer Sichtweite war. Daran, daß Leskov währenddessen aussteigen könnte, wagte er nicht zu denken, und auch nicht daran, daß vielleicht ein anderer Wagen neben ihnen hielt. Was dann folgen würde, wäre kaum auszuhalten: Bewegungsfolgen und Wortwechsel, ganze Szenen sogar, denen eine geisterhafte Gegenwartslosigkeit anhaftete, denn in seinen Augen wäre der einzige Grund ihres Stattfindens der, daß sie sich gewissermaßen selbst aus dem Wege räumten und damit einen Abschnitt in der Zeit freimachten, in dem der Mord endlich stattfinden konnte.
    Die Straße mußte abgelegen sein, eine stille Strecke, auf der an einem Novembertag kaum jemand fuhr. Es würde eine gewisse Verwunderung darüber geben, daß er Leskov, der an diesem Tag bereits eine Reise von St. Petersburg hinter sich hatte, nicht auf dem schnellsten Wege, der Autobahn, ins Hotel gefahren hatte. Aber er konnte sagen, Leskov sei von der Reise mehr aufgedreht als müde gewesen und habe von sich aus einen Umweg vorgeschlagen. Niemand konnte ihn der Lüge überführen, und ohne andere Verdachtsgründe würde das auch niemand wollen.
    Er brauchte eine Landkarte. Beim Empfang unten würden sie eine haben. Perlmann sah auf die Uhr: Viertel vor elf. Es würde wieder Giovanni Dienst haben, und das war ihm recht: Je unsympathischer und gleichgültiger ihm die Person war, die er auf diese Weise indirekt um Unterstützung bei seinem Mordplan bat, desto besser. Er schlug die Decke zurück, schlüpfte in die Schuhe und war schon fast bei der Tür, da hielt er inne, ging mit zögernden Schritten zurück und setzte sich auf die Lehne des roten Sessels. Bisher hatte er seinen Plan nur in Gedanken entwickelt, still unter einer Bettdecke. Jetzt war er dabei, den ersten Schritt zur Durchführung zu tun. Ein Mörder bei der Vorbereitung der Tat. Das eisige Gefühl der Selbstentfremdung, das diesen Gedanken umgab, war betäubend, und Perlmann verharrte eine Weile regungslos in namenloser Verzweiflung.
    Als er sich dann eine Zigarette zwischen die Lippen steckte, vermied er den Blick auf das rote Feuerzeug und griff erneut zum Streichholzbrieflein des Hotels. Er hatte das Bedürfnis, sich noch einmal die Gründe in Erinnerung zu rufen, die ihn zu seinem schrecklichen Vorhaben zwangen, und sich ihres zwingenden Charakters zu versichern. Aber jeder Anlauf zur Konzentration versandete sofort, und übrig blieb die dumpfe und ein bißchen abstrakte Überzeugung, nicht mehr zurück zu können – eine Überzeugung, die den Beigeschmack des Forcierten hatte, ohne deswegen weniger fest zu sein. Schließlich drückte er die halb gerauchte Zigarette aus und ging mit Bewegungen zur Tür, die sich schwerfällig und mechanisch anfühlten.
    Während er vom letzten Treppenabsatz aus in die Halle hinunterblickte, hatte er einen beklemmenden Augenblick lang die Vorstellung, er würde gleich Leskov gegenüberstehen. Er atmete tief ein, schloß die Augen und behielt die Luft in den Lungen, als könne ihr schmerzhafter Druck den Spuk von innen her zermalmen. Dann ging er hinunter zur Empfangstheke, wo niemand war.
    Erst jetzt hörte er die Musik, die aus dem Salon kam. Samstag abend, Millar spielte. Wie immer war es Bach, die Ouvertüre nach französischer Art, die Hanna einmal zum sechzigsten oder siebzigsten Geburtstag einer verehrten Tante gespielt hatte. Es war Perlmann, als sei er eine ganz unwirkliche Gestalt, ein Wesen von einem fremden Stern, das sich in diese Welt hier verirrt hatte, in der alles wie gewohnt verlief und in der niemand von dem inneren Geschehen Notiz nahm, das ihn unaufhaltsam auf den Abgrund zutrieb. Er bekam einen Schluckauf, und das hilflose Japsen, das in der leeren Halle besonders laut zu klingen schien, verstärkte die Empfindung, daß in ihm Kräfte die Regie übernommen hatten, auf die er keinen Einfluß mehr hatte.
    Er wagte nicht, auf die silberne Klingel zu schlagen, und war kurz davor, dieses Warten, das er wie eine vorweggenommene Demütigung empfand, zu beenden und zurück ins Zimmer zu gehen, als Signora Morelli aus dem Korridor kam, der zum Salon hinüberführte. Nach einem Blick auf Perlmanns Gesicht beschleunigte sie ihre Schritte, fast lief sie den Rest des Weges bis hinter die Theke.
    «Die Musik», sagte sie entschuldigend,«Signor Millar spielt wunderbar. »In ihrem

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