Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
zog den eingerollten Text in einer gegenläufigen Bewegung vor die Brust. Mit wenigen raschen Schritten war er auf der Treppe.
In seinem Zimmer saß er minutenlang reglos auf dem Bett und stierte ins Leere. Dann holte er den großen Koffer. Darin lagen, teilweise ineinandergeschoben, ein ungeöffneter Umschlag mit Post von Frau Hartwig, die Einladung nach Princeton, das schwarze Wachstuchheft, das Bändchen von Robert Walser, die Urkunde und die Medaille. Perlmann wußte nicht mehr, wann er all diese Dinge hineingeworfen hatte. Er starrte auf das unordentliche Häufchen. Es kam ihm vor wie eine Ablagerung von Versagen, Schuld und Versäumnis. Er wußte nicht, was er damit machen sollte. Müde legte er die zerrissene und die blutbefleckte Hose darüber, danach die verdreckte, helle Jacke. Es würde idiotisch aussehen, wenn er die Olivetti-Zentrale im Blazer über der viel zu hellen Hose betrat.
Im anderen Fach verstaute er die Chronik. Dann packte er die Bücher, von denen er in den ganzen fünf Wochen kein einziges aufgeschlagen hatte, in den Handkoffer. Der Reißverschluß der Plastikhülle ließ sich nur noch zur Hälfte zuziehen. Er hatte nicht mehr die Kraft, darüber nachzudenken, tat Leskovs Text zurück in den Umschlag und steckte ihn zwischen die Bücher. Im Bad machte er den Toilettenbeutel fertig und nahm eine ganze Schlaftablette. Aus der Schublade des Schreibtischs holte er den Ausdruck der Aufzeichnungen. Paarweise riß er die Blätter durch und warf sie in den Papierkorb.
Bevor er das Licht löschte, rief er Leskov an und entschuldigte sich wegen des Abendessens. Als er den Wecker stellte, spürte er die erste Wirkung der Tablette in den Fingerspitzen.
56
Leskovs fleckiger Koffer stand neben der Empfangstheke, als Perlmann herunterkam. Auf dem glänzenden Marmorboden der eleganten Halle wirkte er wie ein Überbleibsel aus einem anderen Zeitalter. Es war kurz nach sieben, und Giovanni wartete auf Signora Morelli, um dann nach Hause gehen zu können.
«Buona fortuna!» sagte Perlmann, als er ihm die Hand schüttelte.
«Ihnen auch!»erwiderte Giovanni und schüttelte immer weiter.«Und dann... äh... wollte ich noch sagen: Sie spielen ja ganz toll Klavier. Große Klasse! »
«Danke», sagte Perlmann und tauschte einen verlegenen Blick mit ihm.«Gibt es vielleicht demnächst einen Pokalwettbewerb, wo ich Baggio in unserem Fernsehen sehen könnte?»
«Demnächst spielt Juventus gegen Stuttgart. Ich könnte nachsehen... »
«Nicht nötig», sagte Perlmann,«ich werd’s schon merken. Wie heißt er übrigens mit Vornamen?»
«Roberto. »
Vor der Tür zum Speisesaal drehte sich Perlmann noch einmal um und hob die Hand: «Ciao.»
Giovanni gab das Wort zurück, und jetzt kam es ihm leichter und sicherer über die Lippen als Mittwoch abend. Beinahe klang es schon so selbstverständlich wie zwischen alten Freunden.
Leskov hatte seinen Handkoffer neben sich auf einen Stuhl gestellt. Perlmann fuhr zusammen, als er ihn jetzt wieder sah, und sofort suchte sein Blick das Stückchen Gummiband im Reißverschluß des Außenfachs. Es war weg.
«Ziemlich schäbig im Vergleich zu deinem, nicht wahr?»sagte Leskov, als er Perlmann auf den Koffer starren sah.
Perlmann machte eine vage Handbewegung und griff nach der Kaffeekanne.
«Wenn ich neulich abend richtig verstanden habe, wirst du mit Angelini auch über die Frage der Veröffentlichung sprechen», meinte Leskov zögernd, als er die Serviette zusammenfaltete.
Perlmann nickte. Er hatte es kommen sehen. Aber in einer guten Stunde ist es vorbei. Endgültig.
«Es ist wegen einer Übersetzung meines Texts... Glaubst du...?»
«Ich werde mit ihm reden», sagte Perlmann und schob den Stuhl zurück.«Ich lass’ es dich wissen. »
Von Signora Morelli, die gerade den Mantel auszog, hätte sich Perlmann gern allein verabschiedet. Leskovs Gegenwart störte, und als er dessen überschwenglichen Dankesworte hörte, ging er auf die Toilette.
Aber Leskov stand danach immer noch neben ihr. Sie trug heute ein schwarzes Tuch mit einem feinen weißen Rand, und ihr noch etwas verschlafenes Gesicht wirkte darüber bleicher als sonst.
Perlmann gab ihr die Hand und war froh, daß sich Leskov jetzt nach dem Koffer bückte.«Danke», sagte er einfach,«und alles Gute. »
«Ihnen auch», sagte sie. Dann legte sie für einen Moment auch noch die andere Hand auf die seine.«Ruhen Sie sich aus. Sie sehen völlig erschöpft aus. »
Leskov machte dem Taxifahrer ein
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