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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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dunkelbraunen Kohl vor sich und roch den warmen, stinkenden Dunst, der aus dem Container gekommen war. Mühsam atmend nahm er den Langenscheidt und das zweibändige deutsch-russische Wörterbuch aus dem Regal. Er tat alles auf die Kommode im Flur und suchte dann die wenigen russischen Bücher zusammen, die sie beide, immer mit einem Gefühl der Hochstapelei, aus der einen oder anderen Spezialbuchhandlung mitgebracht hatten. Am schwersten würde er sich von dem Band mit Erzählungen von echov trennen, einem besonders schönen, in schwarzes Leder eingebundenen Buch, das er in einer Seitenstraße hinter dem Britischen Museum aufgetrieben hatte, als er mit Agnes und Kirsten einige Tage in London verbrachte.
    Später, als er erschöpft und frierend im Bett lag und sich vorstellte, wie Leskov jetzt am Schreibtisch saß und über den Textlükken brütete, bekam er Herzjagen. Weder bewußtes Atmen noch Lesen bewirkten etwas; erst die besinnlichen Landschaftsbilder im Nachtprogramm halfen. Er rückte das Telefon noch näher ans Bett und vergewisserte sich, daß es auf die größte Lautstärke eingestellt war.
    In dieser Nacht hatte er zum erstenmal den Tunnel-Traum, der ihn in den kommenden Wochen in unregelmäßigen Abständen heimsuchte. Er fuhr, von der Beschleunigung in den Sitz gedrückt, über den vibrierenden Boden des Tunnels, der eine endlos lange Linksschleife beschrieb und wie eine Radrennbahn nach links abfiel, so daß stets die Gefahr bestand, auf die Gegenfahrbahn abzurutschen. Die entgegenkommenden Scheinwerfer waren wie riesige Wellen aus blendendem Licht, die über das Auto hinwegschwappten und ihm jede Sicht nahmen. Zu Beginn der Fahrt hatte er ein Steuer in der Hand, aber später griffen seine kalten Hände einfach ins Leere, und nun konnte er nur noch in einem Gefühl grenzenloser Ohnmacht auf den Aufprall warten, die Ohren voll von diesem entsetzlichen Pfeifen, das nach einiger Zeit in ein schepperndes Klingeln mit Unterbrechungen überging und ihn aus dem Schlaf holte.
    «Sie haben ein Gespräch mit St. Petersburg angemeldet?»fragte eine dunkle Frauenstimme.
    «Ja», sagte er und sah auf den Wecker: zwanzig nach vier.
    «Einen Moment noch, ich stelle jetzt durch. »Es knackte zweimal, rauschte ein bißchen, und dann hörte er durch einen Filter von Geräuschen hindurch Leskovs Stimme:
    «Da? Ja slušaju... Kto tam?»
    Perlmann legte auf. Er zog sich an, packte den Stapel russischer Bücher in eine alte Tasche und schleppte sie durch menschenleere Straßen zu den großen Mülltonnen des Supermarkts.
     
    Am Wochenende begann er mit einem Training in Langsamkeit. Er hätte nicht gedacht, daß es so schwierig sein würde. Immer wieder unterliefen ihm hastige Bewegungen, abrupte Wechsel der Absichten. Dann zwang er sich, das Ganze so langsam zu wiederholen, daß innerlich die Ruhe einer Zeitlupe entstand. Nach einiger Zeit erfand er ein Ritual: Vor jedem längeren Handlungsablauf ging er ins Wohnzimmer und lauschte eine halbe Minute lang dem Ticken der großen Uhr. Den ganzen Samstag über führte er einen hartnäckigen, anstrengenden Kampf gegen seine unbegründete Hast und hatte oft den Eindruck, er werde es nie lernen. Doch bereits am Sonntag gelangen ihm einige Verlangsamungen ganz von selbst, und er spürte, wie die nervöse Erschöpfung sich ab und zu in eine natürliche, erlösende Müdigkeit verwandelte. Er blieb jetzt jedesmal eine gute Minute bei der großen Uhr.
    Am späten Sonntag nachmittag setzte er sich zum erstenmal an den Schreibtisch. Er dachte an die vielen Bücher, die er in Genua im Waschraum des Flughafens gelassen hatte. Würde er sie neu kaufen? Es gelang ihm, seine Müdigkeit wie einen Puffer zwischen sich und diese Frage zu schieben, und eine Weile spann er diesen Gedanken weiter: Es kam darauf an, diese Müdigkeit, die viel zu tief saß, um noch jemals ganz zu verschwinden, zu einer schützenden Hülle auszubauen – zu einem Ersatz für Gelassenheit.
    In dem Umschlag von Frau Hartwig, den er jetzt aufmachte, waren lauter Anfragen und Aufforderungen mit inzwischen abgelaufenen Fristen. Er warf alles in den Papierkorb. Den Brief aus Princeton ließ er in der Schublade des Schreibtischs verschwinden. Dann brachte er die Chronik zusammen mit dem schwarzen Wachstuchheft in die Küche zu den alten Zeitungen.
    Anschließend saß er lange an dem vollständig leeren Schreibtisch. Von Zeit zu Zeit strich er über die glänzende Fläche. In der nächsten Zeit kam es darauf an, wenig zu

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