Pern 04 - Drachensinger
Mädchen, erstaunt und beleidigt zugleich.
»Gibt es denn eine Rangordnung in der Harfnerhalle?« fragte Menolly, und ein ungutes Gefühl beschlich sie. Welche anderen Etiketteregeln mochte sie schon verletzt haben, während sie hier weilte? Hatte nicht Petiron immer wieder betont, daß in der Harfnerhalle mehr Wert auf musikalisches Talent gelegt wurde als auf Titel und Namen? Aber auch Piemur hatte erklärt: »Du stehst im Rang über ihnen.«
»In der Halbkreis-Bucht steht nicht die älteste Meeresburg.
Diesen Anspruch erhebt Tillek«, meinte das dunkle Mädchen ein wenig verärgert.
»Menolly ist aber die Tochter und somit direkte Linie«, entgegnete das andere Mädchen, das die Rangfolge erwähnt hatte. Sie streckte nun die Hand aus, weniger arrogant als ihre Vorgängerin, fand Menolly.
»Mein Vater ist Webermeister Timareen von Telgar. Ich heiße Audiva.«
Auch das dunkelhaarige Mädchen wollte sich eben vorstellen, als ein allgemeines Füßescharren sie unterbrach. Die Mädchen eilten an ihre Plätze und stellten sich gerade hin wie die anderen. Menolly sah sich einem hochgewachsenen Jungen mit leicht vorquellenden Augen gegenüber, der die kleine Szene aufmerksam mitverfolgt hatte. Halb verdeckt von seiner Schulter stand Piemur, der angestrengt nach rechts spähte.
Menolly versuchte in die gleiche Richtung zu schielen und kam zu dem Schluß, daß Piemur den Tisch der Meister beobachtete.
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Doch dann nahmen alle Platz, und sie beeilte sich, das gleiche zu tun.
Große Schüsseln mit dicker, heißer Fleischbrühe wurden herumgereicht, dazu Tabletts mit dem gelben Käse, den Camo offenbar doch noch aufgeschnitten hatte, und Bergen knuspriger Brotschnitten. Allem Anschein nach nahm man in der Gildehalle die Mahlzeiten in umgekehrter Reihenfolge ein, mit dem Hauptgewicht auf dem Mittagessen. Menolly aß mit Heißhunger, bis sie merkte, daß die anderen Mädchen an ihren Portionen nur nippten und das Brot geziert in kleine Krumen zerpflückten.
Pona und Audiva beobachteten sie verstohlen, und eines der übrigen Mädchen kicherte.
Ah, dachte Menolly, meine Tischmanieren passen euch nicht!
Aber wenn sie jetzt zu essen aufhörte, gab sie mehr oder weniger zu, daß der Fehler bei ihr lag. So ließ sie es sich weiter schmecken und langte ein zweitesmal zu, als die anderen noch kaum die Hälfte der ersten Portion geschafft hatten.
»Ich habe gehört, daß du die Gegenüberstellung im Benden-Weyr miterleben durftest«, begann Pona herablassend.
»Ja, ich war dabei.« Miterleben durftest! Sicher, so etwas betrachteten die Mädchen wohl als Privileg.
»Du kannst dich nicht zufällig erinnern, wer von den Auserwählten einen Drachen für sich gewinnen konnte?« Die Frage schien Pona sehr zu beschäftigen.
»Einige weiß ich noch. Talina von Ruatha bekommt die neue Königin …«
»Bist du sicher?«
Menolly schaute an ihr vorbei zu Audiva und entdeckte Vergnüge n in ihrem Blick.
»Aber ja.«
»Zu schade, daß die drei Mädchen von der Burg deines Großvaters nicht zum Zuge kamen, Pona«, sagte Audiva.
»Aber das nächstemal vielleicht …«
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»Und wer sonst noch?«
»Ein Junge von Meister Nicats Gildehalle gewann einen Braunen …« Aus irgendeinem Grund schien das Pona zu gefallen. »Meister Nicat bekam übrigens auch zwei Feuerechsen-Eier.«
Pona starrte Menolly hochmütig an. »Wie kommt es eigentlich, daß du …« , ihre ganze Verachtung lag in diesem kleinen Wort, » … neun Feuerechsen besitzt?«
»Sie war eben zur rechten Zeit am rechten Ort, Pona«, warf Audiva ein. »Das Glück hält sich nicht an Rangfolgen und Vorrechte. Und wir haben es Menolly zu verdanken, daß Meister Robinton und Meister Nicat nun ebenfalls Echseneier besitzen.«
»Wohe r weißt du das?« Ponas Stimme klang überrascht, aber ihr Ton hatte an Arroganz verloren.
»Nun, ich habe mich kurz mit Talmor unterhalten, während du damit beschäftigt warst, dich an Jessuan und Benis heran-zumachen.«
»Ich – niemals!« Pona war allem Anschein nach ebenso rasch beleidigt, wie sie selbst Kränkungen austeilte, aber sie senkte die Stimme, als Audiva ihr einen warnenden Blick zuwarf.
»Keine Sorge, Pona. Solange Dunca dich nicht beim Poussie-ren erwischt – ich halte den Mund!«
Menolly wußte nicht recht, ob Audiva geschickt versuchte, Pona von ihr abzulenken, aber jedenfalls ließ das Mädchen von Boll sie für den Rest des Abendessens in Ruhe. Da Menolly gelernt hatte, daß es sich nicht gehörte, über die
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