Perry Rhodan - 2523 - Am Rand von Amethyst
seelische Müdigkeit, das wusste sie genau. Ihr fehlte die Kraft, sich mit Literatur zu beschäftigen.
Mit Menschen zusammen zu sein, strengte sie von Tag zu Tag mehr an. Vor einer Gruppe von Soldaten zu sprechen oder sie durch ein Schulungsprogramm zu führen, kam ihr wie eine unüberwindbare Hürde vor. Zu einem Hologespräch mit ihrem Sohn bei ihren Schwiegereltern hatte sie sich schon lange nicht mehr aufraffen können.
Wahrscheinlich löste ein Gefühl des Versagens den Gedanken in ihr aus – plötzlich empfand sie Abscheu vor sich selbst. Ihr Verhalten war jämmerlich, das wusste sie nur allzu gut. Tagsüber spielte sie allen Menschen, denen sie begegnete – ihren Untergebenen und Vorgesetzten, ihren Kollegen beim Militär –, vor, dass sie normal wäre. Doch das war sie nicht.
Jenes letzte Gespräch mit Sandior und das Treffen mit Whistler hatten ihr Auftrieb gegeben, doch im Alltag war dieser bald wie eine Seifenblase zerplatzt. Zurückgeblieben war ein graues eintöniges Nichts, das sich um ihr Herz und ihren Verstand legte und sich langsam, aber unaufhaltsam immer enger zusammenzog. Manchmal wartete sie darauf, endlich von ihm zermalmt zu werden und sich dem Dunkel anzuschließen als einem willkommenen Bruder, der sie verstand.
Natürlich wusste sie, worunter sie litt: Depressionen. Ein inneres Ungleichgewicht, ausgelöst durch ein traumatisches Verlusterlebnis. Punkt. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Und ebenso wusste sie, dass es nur einen Weg für sie gab, diese seelische Störung zu überwinden. Sie musste aktiv werden und sich Hilfe suchen.
Kosmopsychologen würden sofort mit einer Therapie beginnen, unaufdringlich, ohne dass ein Dritter davon erfahren würde; sie waren zum Schweigen verpflichtet. Behandlungen hatten oft großen Erfolg. Es gab nur einen Haken – sie wollte den Erfolg nicht, ebenso wenig, dass die Erinnerung an ihren Mann jemals verblasste. Sie betrachtete es als ihre gerechte Strafe dafür, Rus nicht gerettet zu haben.
Eritrea erhob sich vom Bett, auf das sie sich gleich nach ihrer Heimkehr gelegt hatte, mit hinter dem Kopf verschränkten Händen, den Blick zur Decke gerichtet, eingewickelt in die leichte Bettdecke. »Musik aus«, sagte sie, und die Töne, die sie ohnehin nur mit viel Fantasie hatte hören können, verstummten endgültig.
Sie dachte kurz nach und gab dem Kabinenservo den Befehl, mit der Lesung eines Romans zu beginnen. So wie früher.
»Etwas Siganesisches.« Sie hatte die Literatur der Kleinen immer geliebt, die in ihren Augen – und in denen zahlreicher Kritiker – eine Menge großer Romane hervorgebracht hatten. »Klassische Epoche. Mach bitte Vorschläge.«
»Harl Dephin«, sagte die künstliche Stimme des Servos. »Sein Alterswerk: Leben im Kosmos und auf Limun Zwei. «
Sie kannte es, erinnerte sich an einige langweilige Passagen, stimmte jedoch zu. Es war ohnehin besser, den Servo Entscheidungen treffen zu lassen, denn Entscheidungen kosteten Kraft. Und das wiederum hieß, unnötige Energie aufbringen zu müssen.
»Der Prolog wurde vom Autor selbst gesprochen«, erfuhr sie, ohne dass es ihr Interesse wecken konnte. »Es handelt sich um eine Archivaufnahme zwei Monate vor Dephins Tod im Jahr 150 NGZ.«
Sie versuchte sich auf die wohlklingende Stimme zu konzentrieren, deren brüchigen Rauheit man ihr Alter anhörte.
»Siehst du«, flüsterte sie sich selbst zu, »ich tue etwas. Ich bin noch nicht völlig kaputt. Wäre ich das, hätte ich keinen Job, mein Sohn wäre hier, und ich würde ihn im Suff verprügeln.«
»Redest du mit mir?«, hörte sie eine Stimme.
Sie drehte sich um, und sofort liefen Tränen über ihre Wangen.
Da war er: Rus. Braun gelockt, mit seinen markanten Gesichtszügen und den kleinen hellroten, fast weißen Flammen in seinen Pupillen.
»Ich freue mich, dass du dich wieder mit Literatur beschäftigst«, sagte er. »Auch wenn es mich langweilt.«
»Es langweilt dich nicht«, sagte sie bestimmt. Es war das erste Mal, dass er ihr tagsüber erschien, während sie wach war. Normalerweise tauchte er nur in ihren Träumen auf, aber diesmal schlief sie nicht, und das erschreckte sie zutiefst.
Hältst du das für normal , fragte die Stimme in ihrem Hinterkopf wieder. Hältst du das tatsächlich für normal?
Er lächelte, ganz der Charmeur, der Frauenherzen zum Schmelzen brachte. »Du weißt doch ... ich konnte deine Leidenschaft nie teilen. Das erste Kapitel und das letzte, das genügt, um die ganze Geschichte zu kennen.
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