Perry Rhodan Neo 013 – Schatten über Ferrol
größer als Timothy. Er nutzte dies aus, um seinem Freund über die Schulter zu schauen, wenn dieser Laute der Verzückung von sich gab, weil er einen weiteren seltsamen Fisch entdeckt hatte. Julians braunes Haar lag eng am Kopf an. Sein Gesicht war nichts, woran man sich auf den ersten Blick erinnerte – wären da die Augen nicht, die immer wieder von einer Seite zur anderen schossen. Aus ihnen blickte eine wache Intelligenz, eine Neugier, die aber schon lange nicht mehr kindlich war.
Seine Kleidung war teuer . Und er wusste sich zu kleiden. Er trug keine Krawatte, aber ansonsten hätte er der junge Staatsanwalt und perfekte Charmeur in einer beliebigen amerikanischen oder europäischen Holo-Show sein können. Perfekt sitzendes Hemd, perfekt sitzende Hosen, perfekt sitzende Schuhe. Alles farblich aufeinander abgestimmt, sodass es auch zu dem dunkelblauen Jackett passte. Das einzige Ungewöhnliche war eine kleine, silberne Rakete, die seinen Kragenaufschlag zierte. Er hatte sie vor einigen Jahren im Netz ersteigert, sie war eine silberne Nadel mit einer silbernen Rakete, die vor vielen, vielen Jahren für Pressebesucher im Jet Propulsion Laboratory ausgegeben worden war.
Ab und an schaute Julian zur dritten Person im Raum, um sie still zu mustern. Mildred war eine ausgesprochen schöne Frau – zumindest in seinen Augen war sie das unbestritten. Lange schwarze Haare umrahmten ein schmales, ausdrucksvolles Gesicht, aus dem dunkle Augen neugierig in die Welt schauten. Ihr Körper war schlank, drahtig, der Körper einer Sportlerin. Sie trug einen engen Rollkragenpullover, der ihren Körper betonte; dazu eine enge Hose und Stiefel. Sie trug eine Wolljacke – Mildred hatte immer einen eigenwilligen Geschmack bewiesen. Im Moment sah sie so aus, wie er sich eine Germanistin vorstellte; er wusste genau, dass sie eigentlich Virologin werden wollte. Don't judge a book by its cover , dachte er. Viele Menschen wissen nicht, was sich unter dieser Oberfläche verbirgt ... Julian musterte sie wieder einmal liebevoll, während sie in Gedanken versunken aus dem zweiten Fenster schaute.
»Irrsinn!«, kommentierte Mildred die Aussicht. »Völliger Irrsinn. Das hier dürfte einer der letzten Bereiche der Tiefsee sein, die wir nicht zerstört haben.« Die beiden anderen schwiegen, vom Ausblick gefesselt. Mildred ergriff wieder das Wort. »Wusstet ihr, dass Kolumbus auf den Azoren war?«
»Auf seinem Hin- oder Rückweg?«, fragte Timothy, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen.
»Erste Rückfahrt; mit seinem letzten Schiff passierte er die Azoren auf dem Weg zum europäischen Festland«, antwortete Mildred.
Timothy schüttelte den Kopf, sodass sein Zopf herumflog. »Ich glaube nicht, dass das der richtige Augenblick ist, um über Schiffskatastrophen nachzudenken.«
»Wir sind hier völlig sicher«, beruhigte Julian den Freund. »Modernste Technologie. Verschmelzung von Elementen des Bootes mit dem Unterseeboot, das Ergebnis ist zusätzlich eine Verbindung aus verschiedenen Antriebsmöglichkeiten. Und schon im 20. Jahrhundert gab es Tauchgänge, die deutlich tiefer hinabgeführt haben.«
»Trotzdem muss es mir nicht gefallen ...«
»Hey, Timothy – du willst raus ins All? Das sind doch auch nur metallene Dosen, deren Insassen aber mehr Gefahren ausgesetzt sind als wir hier unter Wasser.«
»Da sieht man aber die Sterne ...«
Mildred grätschte den beiden Männern in ihr Gespräch. »Hier sieht man dafür ganz andere Dinge. Die Tiefsee ist voller Leben ... Schaut mal, da drüben!« Sie wies nach vorne, an den Rand der sichtbaren Zone. Vor ihnen erstrahlte der Meeresboden in Weiß und Rot.
»Ein Korallenriff.« Begeistert klebte sie fast an der Scheibe. Überall bewegten sich Fische zwischen den Korallen.
»Es sieht aus, als wäre es eine überwachsene Ruine, in der jetzt Fische herumtollen.« Timothy konnte wieder einmal den Mund nicht halten.
»Mehr als ein Forscher hat vermutet, dass Atlantis bei den Azoren lag«, kommentierte Julian.
»Atlantis ... Ich vermute mal, dass du mir gleich erzählen willst, dass Captain Nemos Insel auch bei den Azoren lag?« Timothy war skeptisch.
»Im Gegensatz zu dem Werk von Jules Verne hat die Sage um Atlantis wahrscheinlich einen realen Hintergrund. Und die Insel von Captain Nemo war angeblich im Pazifik, nicht bei den Azoren«, dozierte Julian. »Überlege doch nur, wie viele Mythen von einem Land im Westen sprechen, in dem ewige Jugend zu finden ist.«
»Ein Mythos, dem immer wieder
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