Persephones Erbe (German Edition)
des Tenebre und etliche andere vom Hotelpersonal um eine zarte junge Frau. Sie war fast noch ein Mädchen, möglicherweise seine Tochter, und mir schien es sich um einen Abschied für länger zu handeln. Der Hausmeister umarmte sie leidenschaftlich, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Als sie sich von ihm lösen wollte, klammerte er sich an sie wie ein Ertrinkender. Die Kellner, der grauhaarige Menalio und sein Bruder, rissen das Mädchen dem Hausmeister schließlich mit Gewalt aus den Armen. Und selbst da setzte er noch einmal an, rannte ihr hinterher. Sie flüchtete wie der Blitz und Menalio, Agreo und ihr dritter Bruder warfen sich auf ihn. Es wurde ein heftiges Gerangel, bis sie seiner Herr wurden. Doch schließlich gab der Hausmeister auf. Er brach auf der Treppe zum Hinterhaus von Kummer geschüttelt zusammen.
Die Hotelangestellten standen vielleicht eine halbe Minute schweigend um ihn herum. Dann verließen sie ihn einer nach dem anderen Richtung Straße. Keiner von ihnen drehte sich auch nur einmal nach dem Verzweifelten um.
Mir tat er leid. Wie grausam, ihm sein Kind auf diese Weise zu entreißen. Oder war sie etwa seine Freundin gewesen, verließ ihn mit Grund? Trotzdem hatte er sie wohl geliebt. Plötzlich hob der Hausmeister den Kopf. Er sah zu mir auf, wachsam, lauernd. Ich verschwand schleunigst vom Fenster. Wich zurück bis zur Wand. Mein Herz klopfte wie wild.
Er konnte mich aber gar nicht gesehen haben. Die Voilestores waren blickdicht, ich hatte auch kein Licht gemacht. Von unten musste es aussehen, als läge ich hier oben noch im Tiefschlaf. Es war ja auch erst knapp nach Sonnenaufgang. Trotzdem war ich mir sicher, dass er wusste, wo ich gestanden hatte. Deswegen blieb ich, wo ich war, mit klopfendem Herzen an die Wand hinter dem Bett gepresst, bis ich unter mir Schritte hörte. Der Hausmeister verließ den Hinterhof.
Aber ich wartete dennoch Minuten, bevor ich mich zögernd wieder ans Fenster wagte.
Der Hof lag verlassen. Leiser Regen fiel, wusch Bäche aus gelbem Blütenstaub vom Steinpflaster. Der Baum neben Santa Pudenzia war über Nacht grün geworden. Zarte junge Blätter tropften vom Regen. Auf dem Kirchturm sang eine Amsel.
Ich ging wieder ins Bett. Es war mittlerweile hell genug, dass ich vor flüsternden Stimmen keine Angst mehr zu haben brauchte. Aber ich konnte nicht mehr schlafen. Armin und der ganze gestrige Tage gingen mir im Kopf herum. Alles war möglich. Dass er mich nicht mehr hatte stören wollen, die Nacht außerhalb verbracht hatte. Oder mit seiner Ex. Dass sie im Gegenteil furchtbar gestritten hatten und er danach in irgendeiner Bar versackt war. Oder – schlimmster anzunehmender Fall: Armin hatte das Weite gesucht, saß längst im Flugzeug und ich durfte Malchow erklären, warum wir seinen Auftrag nicht ausführen würden. Und ich konnte meinem Chef die Flucht noch nicht einmal übel nehmen.
Kein Mensch steckte die Konfrontation mit einer Hexe einfach weg.
Der Tagportier Agreo begrüßte mich in der trügerischen Schäbigkeit der Rezeption des Tenebre gut gelaunt. »Ciao, Bella. Hast du gut geschlafen, Kati?«
Schon wieder jemand aus dem Hotel, der meinen Namen kannte. Agreo drehte breit lächelnd seinen Flachbildschirm. Ich las weiß auf blau:
Dependence: Armin Landgraf und Kati Friedrich. Sonst nichts.
Ich wusste, wie Hotelverwaltungsprogramme normalerweise aussahen. In der Regel erschienen auf dem Bildschirm so viele Zeilen und Spalten, dass jeder Nichteingeweihte sofort den Überblick verlor. Hier stand außer meinem Namen und dem meines Chefs praktisch nichts. Agreo feixte.
»Ja, danke. Guter Witz.«
Das Lächeln des Tagportiers wurde dreister. Bevor ich begriff, geschweige denn ausweichen konnte, sprang er über die Theke, schlang mir den Arm um die Taille. Seine Augen, irre dunkel und mit riesigen Pupillen, waren meinen ganz nah.
»Du riechst gut«, flüsterte er ,»darf ich dich heute Abend in die Mysterien des Tenebre einweihen? Lass mich der Erste sein, mach mir die Freude.«
Die Freude spürte ich. Sie rieb hart gegen meinen Oberschenkel. Ich befreite mich aus Agreos Griff, zum Glück ließ er mich tatsächlich los. Gleichzeitig glitten die Samtvorhänge links neben mir rauschend zur Seite. Der grauhaarige Kellner Menalio erschien. Er verbeugte sich knapp und knuffte fast beiläufig Agreo so hart, dass der Tagportier einen Satz machte. »Lass Kati in Ruhe.«
»Ich tue ihr doch nichts!« Agreo boxte zurück. Offenbar hatten beide heute Morgen eine
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