Persephones Erbe (German Edition)
Formaldehyd vollgepumpt, die Hunde haben nichts gerochen.«
Zachi holte Luft. »Der Kerl ist absolut krank! Der hat die Kleine konserviert. Komplett mumifiziert. Wenn du die sehen könntest, du glaubst, die ist erst gerade für fünf Minuten gestorben. Sogar ihre Finger waren noch biegsam, sagte unser Pathologe.«
Ich ließ ihn reden. Mich fror. Die lebensgroßen Puppen in Malchows Wohnzimmer fielen mir ein. Das ist eine Manie von Malchow, hatte Armin gesagt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er gewusst hatte, wie recht er damit hatte. Die Stille in meiner Einzimmerwohnung kam mir auf einmal zu tief vor. Schatten lauerten in allen Ecken. Vielleicht gab es eine Inkubationszeit, bis sich wieder eine Geisterstimme in meinem Kopf einnistete. Aber ich wusste, dass ich ihr nicht entkam.
»Zachi – ich bin hundemüde. Könntest du mich wenigstens heute in Ruhe lassen? Ich möchte unter die Dusche und dann nur noch ins Bett.«
Er sagte vorsichtig: »Ich glaube nicht, dass wir dich brauchen. Will sagen, ich hoffe es nicht. Ich rufe dich übrigens von unterwegs an. Mein Kollege holt sich gerade eine Pizza. Und ich muss es dir leider sagen: Unser Gespräch hat nie stattgefunden. Verstehst du mich?«
»Ja.«
Zachi legte auf.
Ich schleppte mich unter die Dusche. Leicht angewidert. Mein Haar und mein ganzer Körper stanken von oben bis unten nach Weihrauch. Und noch nach etwas Anderem, das ich nicht richtig benennen konnte. Das mich aber würgen machte. Ich schrubbte mich sauber, wusch mir das Haar und packte anschließend noch im Duschtuch alles, das ich in Rom dabei gehabt hatte, in die Waschmaschine. Danach merkte ich, dass schon ein
Etwas
in den Schatten in meiner Wohnung auf mich wartete.
Tante? Wer bist du, Tante?
Ein kleines Mädchen. Natürlich! Bisher waren Zachis Gespenster wenigstens immer Erwachsene gewesen. Aber hinter der Kleinmädchenstimme lag ein ferner Chor. Ich ertrug es nicht, mit einem Geisterkindergarten allein in der Wohnung, Die Stimmen drückten mir das Herz ab. Ich zog mich an und ging spazieren. Über den Schwarzen Steg bis zum Sportpark und zurück. Danach fiel einfach nur noch ins Bett.
Der Morgen war hässlich. Ich saß in alle meine Decken gewickelt im Schneidersitz auf meinem Bett, trank Kamillentee und starrte trübselig vor mich hin. Mir ging es beschissen.
Krämpfe gingen durch meinen Magen. Wahrscheinlich die Nerven, vorhin beim Aufstehen hatte ich mein Abendessen wiedergesehen. Ich trank vorsichtig einen neuen Schluck Kamillentee. Zum Glück konnte ich es mir die Auszeit leisten. In Armins Containerbüro lief der automatische Anrufbeantworter. Ich musste heute morgen nicht nach Nürnberg.
Tante? Hallo, Tante!
Die Kleine war natürlich auch noch bei mir. Aber ich war so in Gedanken, weil ich mir Sorgen um Armin machte, dass ich dem Stimmchen zuerst nicht richtig zuhörte.
… hat mich die Mami der Tante verkauft
.
Ich fiel vor Schreck fast von der Bettcouch.
»Hat das die Tante gesagt?«
Jaa
…
»Gott, Schätzchen!«
Da saß ich, traurig und hilflos. Natürlich wusste ich, in meinem Herzen, dass das gelogen war. Welche Mutter verkaufte schon ihr Kind?! Aber das kleine Mädchen hatte der bösen Tante geglaubt und sich deswegen wahrscheinlich nicht gegen die Entführung gesträubt. Mir kamen die Tränen. Ich wollte die Kleine so gerne trösten. Doch selbst wenn ich ihr versicherte, dass sie ihre Mutter niemals freiwillig aufgegeben hatte, was half es denn? Die Kleine war tot. Sie würde ihre Mami nie wiedersehen.
Tante? Wo bist du, Tante?
Dem Geisterkind standen in ihrer Endlosschleife nicht sehr viele Sätze zur Verfügung. Sie hing zwischen den Hier und Jetzt und dem Vergessen fest und das nicht zuletzt durch meine Schuld. Mein erstes aktiv wahrgenommenes Geistchen machte mir rasend schnell bewusst, welche Verantwortung ich trug. Ein sauberer Schnitt mit dem Messer in den Arm, warmes Blut, und das Kind fand seinen Frieden. Oder ich entschied mich zur Kerzenflamme. Mir graute nur davor. Bitte keine weiteren Brandblasen auf meiner Haut. Aber eines von beiden musste ich tun und zwar bald. Ich konnte mich nur nicht entschließen.
Die arme Kleine tat mir leid, unendlich leid. Ich tat mir aber auch selbst leid. Und Armins Verhaftung verursachte mir erst recht Bauchschmerzen. Ich konnte mir nur nicht denken, wieso Corinna von dem toten Kind gewusst hatte. Vielmehr, wenn ich die Vermutung konsequent zu Ende dachte, war sie so ungeheuerlich, dass ich davor zurückschreckte.
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