Personenschaden
pore’ach, hajom jom huledet le Anton.«
Schwarz blickte zu seiner Mutter, die andächtig lauschte. Soviel er wusste, verstand sie kein Wort Hebräisch, aber eswar wohl das erste Mal seit Jahrzehnten, dass sie wieder Juden begegnete. Er hätte zu gern in ihr Inneres geblickt.
»Und jetzt eine Rede«, rief Heiner, kaum dass Eva ihr Lied beendet hatte. Schwarz warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Sein alter Klassenkamerad wusste genau, dass er Reden hasste.
»Ja, Herr Schwarz, bitte«, sagte Jo, der zur Feier des Tages einen weißen Smoking trug.
Schwarz hielt nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau. Der Weg durch die Tür war von seinen Gästen versperrt, der rettende Sprung durch das offene Fenster zu riskant, die Wohnung lag immerhin im ersten Stock.
»Ich kann nicht reden«, sagte er.
»Er lügt«, behauptete seine Mutter dreist.
»Er redet wie ein Buch, wenn er will«, stimmte Monika, die Verräterin, zu.
Die Runde blickte erwartungsvoll auf ihn. Luisa nickte aufmunternd, und Eva hielt ihm die Daumen.
Plötzlich kam Schwarz der Gedanke, dass so ein runder Geburtstag neben allen Unannehmlichkeiten doch auch für etwas gut sein musste. Vielleicht sollte er die Gelegenheit nutzen und ein paar Dinge in seinem Leben ändern. Die Scheu, im Mittelpunkt zu stehen, war für einen fünfzigjährigen Mann doch eher peinlich. Was hatte er zu verlieren? Es war völlig egal, ob er eine gute, eine schlechte, eine geistreiche oder langweilige Rede hielt: Seine Freunde würden ihr Bild von ihm nicht mehr groß korrigieren. Er konnte sie höchstens überraschen.
Schwarz holte tief Luft. »Liebe Mama, liebe Luisa, liebe Monika, liebe Freunde und Kollegen. Bis heute war ich davon überzeugt, dass ein Eigenbrötler wie ich niemals Opfer einer Surprise-Party werden kann. Ihr trefft mich deshalb völlig unvorbereitet und zwingt mich, laut über diesen seltsamenBrauch nachzudenken. So eine gut geplante Überraschung mag ja lieb und nett gemeint sein, aber schwingen dabei nicht auch niedere, sadistische Motive mit? Mal ganz ehrlich: Habt ihr nicht eigentlich darauf gewartet, dass ich ohnmächtig zu Boden sinke oder unter Schock Dinge sage, die ich später bitter bereue? Vielleicht sind Surprise-Partys auch eine Art Belastungstest: Wer sie ohne Zusammenbruch übersteht, erwirbt das Recht auf ein paar weitere Lebensjahre. Meistens verplappert sich ja vorher irgendjemand. Dann muss der Überraschte ein verdammt guter Schauspieler sein, um seine Freunde nicht zu enttäuschen. Er muss immer wieder kopfschüttelnd sagen: ›Mein Gott, ich glaube es nicht, das hätte ich nie erwartet
.
‹ Leider hat es unter euch keinen Verräter gegeben, dafür ist der Einsatz meines Tierabwehrsprays der eindeutige Beweis.«
Alle lachten.
Es läuft ganz gut, dachte Schwarz nicht ohne Stolz, ich kann ja doch reden. Das allerdings war der Moment, in dem er seine rhetorische Unschuld verlor. Sein Denken geriet ins Stocken und die Worte verließen ihn. Er ahnte, dass seine Zuhörer noch einen kleinen Ausblick in die Zukunft wünschten, hatte aber nicht die geringste Idee, was er sagen und wie er es formulieren sollte.
Was erwartete er überhaupt von der nächsten Zukunft? Auf jeden Fall, dass Monika Justus in die Wüste schickte und er in ihr gemeinsames Haus nach Untermenzing zurückkehren konnte. Außerdem, dass seine Mutter endlich das Vertrauen fand, mit ihm über ihre traumatischen Erlebnisse in der Nazizeit zu sprechen. Beide Wünsche waren viel zu intim, um sie auf einer Surprise-Party auszuposaunen.
»Für die Zukunft wünsche ich mir …«, stammelte er.
»Jede Menge dunkles Bier«, reimte Buchrieser und rettete ihn.
»Genau«, sagte Schwarz schnell, »aber vorher möchte ichmich noch bei euch bedanken – vor allem für eure Geduld. Ich hoffe, ihr haltet es noch ein paar Jahre mit mir aus.«
Buchrieser schenkte ihm ein Glas ›König Ludwig Dunkel‹ ein, aber bevor Schwarz auch nur davon nippen konnte, musste er einen langen Applaus, unzählige Umarmungen und gute Wünsche über sich ergehen lassen. Beim ersten Schluck dann dachte er, dass es gar nicht so übel war, gefeiert zu werden.
Seine Mutter hatte ihren Polstersessel neben Eva Hahns Rollstuhl rücken lassen und unterhielt sich angeregt mit ihr.
13.
Die Fahrt verlief ohne Störungen. Ein S-Bahnhof tauchte vor Klaus Engler auf. Er wusste, dass es in der Nähe eine große Diskothek gab. Überall saßen Gruppen von Jugendlichen, die noch rasch große Mengen Red Bull mit Wodka
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