Personenschaden
Kranführer Fichtenstämme durch die Luft schweben und punktgenau auf einem Waggon landen ließ. Dann suchte er sich eine der abgestellten Loks aus und fotografierte sie mit seinem Handy von allen Seiten. Als kein Mensch sich um ihn kümmerte, lief er zur nächsten Lokomotive weiter. Er kniete sich hin, um die Räder zu fotografieren und bestieg für eine Aufnahme von vorne sogar den Prellbock.
»Was machen Sie denn da?« Endlich war jemand auf ihn aufmerksam geworden.
»Ich bin ein großer Fan von dieser Lok.«
»Das ist eine nagelneue 185er.«
»Ja, ich weiß. Von dieser Baureihe habe ich über tausend Bilder. Ich bin in ganz Deutschland unterwegs.«
»Schönes Hobby.«
»Aber teuer. Und was machen Sie so?«
»Ich bin Wagenmeister.«
»Phantastisch. Dann haben Sie ja ständig Kontakt zu den Lokführern. Meinen Sie, ich könnte mal mit einem sprechen? Ich wüsste zum Beispiel gern den Unterschied zwischen Indusi-Intervall und Totmannknopf.« Schwarz hatte sich mit Thomas Englers Hilfe gut auf sein kleines Theaterstück vorbereitet.
Der Wagenmeister schmunzelte. »Kommen Sie mit.«
Er lotste ihn in die Kantine, die nur tagsüber für die Eisenbahner geöffnet hatte. »Hier ist ein Pufferküsser, der was zum Totmannknopf hören möchte. Wer will?«
Die Begeisterung über den Eisenbahnfan war nicht gerade überbordend. Kaum einer der bei einer Tasse Kaffee oder einer Zigarette ausspannenden Männer hob den Kopf. Schließlich stand doch einer auf und winkte Schwarz an einen leeren Tisch.
»Wieso interessiert dich das denn?«
»Ich wollte schon als Kind Lokführer werden.«
»Bist du verheiratet?«
Schwarz schüttelte den Kopf.
»Das wäre schon mal eine gute Voraussetzung.«
»Wieso?«
»Wenn du keine Frau hast, kann sie dir auch nicht abhauen. Das tun sie nämlich gern bei uns Lokführern.«
Damit waren sie, schneller als von Schwarz erhofft, beim Thema. »Wegen der ständigen Dienstplanänderungen, oder?«
»Exakt, Meister.«
»Aber bei euch läuft doch sicher alles nach Plan? Die Fahrt zum Sägewerk in Zell am See zum Beispiel, wie oft macht ihr die?«
Der Lokführer musterte ihn misstrauisch. »Wieso willst du das denn wissen?«
»Ich interessiere mich auch für Fahrpläne. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein Mensch das alles organisieren kann.«
»Ist ja auch nicht nur ein Mensch.« Er lachte. »Also, nach Zell am See fahren wir momentan viermal die Woche. Zwei Tag-, zwei Nachtfahrten.«
»Die Strecke geht über München, richtig? Sind Sie die auch schon mal gefahren?«
»Nein, immer nur … ein Kollege.«
»Klaus Engler?«, sagte Schwarz schnell.
Der Mann fixierte ihn. »Mir dir stimmt doch was nicht. Du bist kein Pufferküsser.«
»Ich bin Privatermittler.«
Der Mann haute mit der flachen Hand auf den Tisch. »Scheiße, der hat mich verarscht.«
Die Kollegen am Nachbartisch wurden aufmerksam und drehten sich in seine Richtung.
»Was soll der Scheiß?«
»Ich untersuche den Bahnsuizid, in den Klaus Engler verwickelt wurde, und wollte sehen, wie leicht man bei euch an Informationen über Dienstpläne kommt.«
»Geht es um Klaus? Unsern Klaus?« Ein großer, breitschultriger Mann, dessen Gesicht von einem blonden Bart umrahmt wurde, kam an den Tisch. Schwarz stellte sich vor und fragte nun direkt, ob sich in letzter Zeit jemand nach den Fahrzeiten erkundigt habe.
Der Mann wurde nervös. »Was geht Sie das an?«
Schwarz setzte alles auf eine Karte. »Der Selbstmörder wollte vermutlich unbedingt vor Klaus Englers Zug sterben.«
Die Augen das Bärtigen begannen zu flackern. »Quatsch! Das ist doch verrückt.«
Schwarz schwieg.
»Jetzt soll ich schuld sein, dass der Kerl dem Klaus vor die Lok gesprungen ist?«
»Nein, nein«, sagte Schwarz, »daran ist keiner schuld – außer der Selbstmörder.«
Das war nicht die Wahrheit, aber er wollte nicht noch mehr Verwirrung stiften, indem er den Mann ins Spiel brachte, den er eigentlich suchte. »Vielleicht bin ich ja auch auf der falschen Spur. Können Sie die Person beschreiben, die sich nach Klaus Engler erkundigt hat?«
»Ja, schon«, sagte der Eisenbahner. »Nicht besonders groß. Einssiebzig vielleicht und etwas jünger als ich.«
»Wie alt sind Sie?«
»Gerade vierzig geworden. – Er hat das rechte Bein nachgezogen, vielleicht ’ne Prothese. Hatte einen Parka an, Jeans und Turnschuhe.«
»Und sein Gesicht?«
Der Blick des Eisenbahners ging nach oben, er überlegte. »Eher schmal, blasser Teint, dunkle
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