Personenschaden
Abmahnung – und das ist teuer.«
Er zog eine Seite aus dem Stapel und begann zu lesen. Es klingelte, der Fahrer war da. Engler bat ihn zu warten.
»Unglaublich, dieser Amok. Was für ein Zyniker! Lesen Sie mal!« Er reichte Schwarz die Seite und nahm die nächste.
Schwarz kannte den Thread, auf den Engler zufällig gestoßen war, nicht. Vermutlich hatte Eva sich mit ihm befasst. Es ging um das Thema
Erweiterter Suizid
.
Arsen:
Ich denke, wir sind uns einig, dass jeder Mensch das Recht hat, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Was aber ist, wenn dabei zufällig jemand hinter ihm steht?
Amok:
Dann hat jemand Pech gehabt.
Cobain
: Und wenn der Selbstmörder ihn rechtzeitig bemerkt und trotzdem abdrückt?
Arsen
: Dann ist es Mord.
Lilith
: Oder ein erweiterter Suizid.
Arsen
: Versteht man darunter nicht eher verzweifelte Mütter, die ihre Kinder umbringen, ehe sie selbst Schlaftabletten nehmen? Oder Männer, die erst ihre untreuen Frauen und dann sich selbst richten?
Amok
: Es soll Menschen geben, die davon träumen, bei ihrem Suizid möglichst viele Schöne, Reiche und Glückliche mitzunehmen.
Cobain
: Selbstmordattentäter?
Amok
: Leute, die nicht mehr leben können, weil ihr Hass zu groß ist. Sie sind an einem Punkt angelangt, an dem die Moral keine Rolle mehr spielt. Sie könnten sich sogar auf einem Kindergeburtstag in die Luft sprengen – oder in der 1. Klasse eines ICE.
Cobain
: Aber das ist doch schrecklich?
Amok
: Sicher, Cobain. Aber manchmal gibt es keinen anderen Weg.
Schwarz ließ das Blatt sinken und sah, dass der Fahrer nervös von einem Fuß auf den anderen trat. »Ich glaube, Sie müssen los, Herr Engler.«
»Ja, stimmt.« Er griff zu Handy und Notebook und stürmte zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Wenn Sie dieses Dreckschwein kriegen, verdopple ich Ihr Honorar.«
Schwarz erschrak über den abgrundtiefen Hass, der aus Engler sprach. Er ordnete nachdenklich seine Papiere und verstaute sie in der Aktentasche. Bevor er ging, ließ er den Blick noch einmal über die sagenhaft schöne Wohnung und die blühende Dachterrasse schweifen. Der Arbeitsplatz auf der Empore erinnerte ihn an ein Baumhaus in seiner Kindheit und das Machtgefühl, alles beobachten zu können und gleichzeitig, sobald die Strickleiter hochgezogen war, unerreichbar zu sein. Es ist kein Zufall, dachte er, dass einer wie Engler sich so einen Arbeitsplatz einrichtet.
28.
Novalis zerdrückte eine leere Red Bull-Dose. Es war seine sechste seit heute Morgen und ihm war schlecht. Das lag nicht allein an dem klebrigen Taurin-Drink, sondern auch daran, dass Cobain ihm einfach nicht aus dem Kopf ging. Seit der Gründung des Forums hatten sich Mitglieder angemeldet, eine Weile gepostet und sich irgendwann wieder zurückgezogen. In einigen wenigen Fällen war er sicher, dass sie ihrem Leben ein Ende gemacht hatten. Bei den anderen vermutete er, dass sie das Thema nicht mehr interessierthatte, weil sie sich zum Beispiel verliebt hatten oder ernsthaft krank geworden waren. Das Verschwinden eines Mitglieds hatte ihn nie sonderlich berührt.
Außer jetzt, bei Cobain.
Warum hatte er nichts unternommen, um ihn zu retten? Cobain war anders als die anderen, er wäre es wert gewesen.
Er hörte es klingeln. Er öffnete nie, wenn jemand an der Tür war.
Er hielt seine rechte Hand mit der linken fest, damit sie nicht so zitterte. Jetzt zitterten beide Hände. Und die Lüfter seiner Computer machten einen höllischen Lärm.
Kein Mensch war online. Falsche Uhrzeit. Doch, im Bilder-Thread postete Henriette das Foto eines Jugendstil-Grabs mit weißen Engeln. Er löschte es kommentarlos. Einfach aus schlechter Laune. Er hatte kein Lust mehr! Er war durch mit www.muenchner-freitod.de.
Es klingelte schon wieder. Warum ließ man ihn nicht in Ruhe? Da schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass vielleicht Cobain vor der Tür stand. Er lebte noch und war auf der Flucht vor Amok. Er wollte sich bei ihm in Sicherheit bringen.
Schwarz hatte gerade beschlossen, wieder zu gehen, als die Tür aufgerissen wurde. Er schaute in Augen, die ihn erschrocken anstarrten, und verhinderte im letzten Moment, dass der etwa fünfundzwanzigjährige, extrem hagere Mann die Tür zuschlug.
»Nehmen Sie sofort Ihren Fuß weg.«
»Mein Name ist Schwarz und das ist kein Nickname.«
»Gehen Sie! Ich lasse Sie nicht rein«, rief der junge Mann mit überschnappender Stimme.
»Hören Sie mir doch erst mal zu. Ich bin Privatermittler und habe
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