Personenschaden
Häuschen einfach für mich gekauft und es mir mit einem kleinen Aufpreis überlassen.«
»Überlassen« klingt gar nicht gut, dachte Schwarz, und er hatte recht.
»Dabei muss irgendwas schiefgelaufen sein.«
»Es gehört dir also gar nicht?«
»Es ist viel komplizierter, Anton. Die Immobilie haben wir auf den Hermann eintragen lassen, das Grundstück auf mich. Ich weiß nicht mehr, warum wir das so gemacht haben. Es wird halt die vernünftigste Lösung gewesen sein damals.«
Schwarz überlegte. Heute war das marode Häuschen sicher deutlich weniger wert als das Grundstück, der Schaden also nicht sehr groß.
Seine Mutter deutete sein Schweigen als Vorwurf. »Ich habe gewusst, dass du mich nicht verstehst. Aber das war eine andere Zeit. Sogar die Gemeinde hat gemauschelt.«
»Die Gemeinde? Ach ja? Wie denn?«
»Das geht schon bei dem Ortsnamen los. Plötzlich graben die einen heiligen Waldram aus, der nicht das Geringste mit dem Lager zu tun hatte, bloß damit sie nicht mehr Föhrenwald sagen müssen.«
»Das hältst du für Mauschelei?«
»Ja, sicher. Die wollten, dass keiner mehr den Ort mit seinen ehemaligen jüdischen Bewohnern in Verbindung bringt.«
»Oder mit dem Zwangsarbeiterlager der Nazis. Das hat ja auch schon Föhrenwald geheißen.«
Diese Interpretation gefiel Hildegard Schwarz weniger.»Kann sein«, sagte sie und stand auf, um sich auch ein Marmeladenbrot zu machen. »Was ist denn das?«, fragte sie und zeigte auf eine Einladungskarte, die mit der Post gekommen war.
»Die Ausstellung hat der Großvater eines Klienten organisiert: Rudi Engler.«
Hildegard Schwarz starrte auf das schwarz-weiße Foto eines kleinen Mädchens mit heller Strickmütze, Schal und Judenstern auf dem Mantel, das mit einem Köfferchen in der Hand auf die offene Tür eines Waggons zuging. Sie öffnete die Klappkarte. »Endstation Milbertshofen?«
»Es geht um die Rolle der Bahn bei der Deportation der Münchner Juden. Willst du mitkommen, Mama?«
Sie sah ihn entgeistert an. »Ich? – Ist das mein Problem?«
»Es sind immerhin Juden, die da deportiert wurden.«
»Das habe ich verstanden. Aber haben
wir
die Juden deportiert? Das sollen die mal schön mit sich selbst ausmachen.«
Schwarz versuchte, sich ihre auf den ersten Eindruck befremdliche Reaktion zu erklären. Die Ausstellung würde seine Mutter unweigerlich mit ihrer eigenen Deportation nach Theresienstadt konfrontieren. Wahrscheinlich wollte sie sich nicht von den Kindern der Täter diktieren lassen, wie und wann sie sich zu erinnern hatte.
Sie wedelte mit der Einladung. »Das ist heute. Du solltest dich langsam umziehen.«
Schwarz winkte ab. »Ich werde mich nicht groß in Schale werfen. – Sag mir lieber, was du jetzt unternehmen willst mit deinem Haus?«
»Hast du es immer noch nicht verstanden? Das Haus …«
»Entschuldige, mit deinem Grundstück.«
»Da so ein Haus leider nicht in der Luft steht, kann ich mein Grundstück nicht nehmen und woanders ausrollen.«
»Das Problem ist mir bewusst.«
»Außerdem ist der Hermann seit dreißig Jahren tot.«
»Und seine Erben?«
»Die leben in Kanada.« Sie seufzte. »Ich müsste einen Brief schreiben – auf Englisch.«
»Ich kann dir gern helfen.«
»Ob der Aufwand sich lohnt? Ich meine, ich habe damals so wenig bezahlt. Ich glaube, das lassen wir lieber erst mal.«
Diese Logik erschloss sich Schwarz nicht ganz, aber er wollte seine Mutter nicht quälen. Ein Ergebnis hatte ihre Fahrt nach Waldram zumindest gebracht. Wenn nichts Außergewöhnliches geschah, würde sie vorerst weiter bei ihm wohnen – ob es ihm gefiel oder nicht.
34.
Die Halle lag im Stadtteil Milbertshofen unweit der Ingolstädter Straße zwischen deutlich größeren und moderneren Industriebauten, als wäre ihr Abriss bei der Stadtentwicklung vergessen worden. Sie war alt, Schwarz schätzte sie auf mindestens achtzig Jahre. Der schlichte Fachwerkbau mit seinen hohen Bogenfenstern erinnerte ein wenig an eine Kirche. Die Klinkerfassade war an vielen Stellen beschädigt, das Metall der Fenster- und Türrahmen rostete vor sich hin. Die Halle war schon länger nicht mehr in Betrieb und wurde nur noch im Sommer für besondere Anlässe genutzt – für schrille Modepräsentationen etwa oder experimentelle Theaterprojekte. Die Ausstellung ›Endstation Milbertshofen‹ passte eigentlich nicht in diese Reihe.
Schwarz fand problemlos einen Parkplatz. Er zog das Sakko aus, zu dem seine Mutter ihn noch überredet hatte, und warf es
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