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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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eine systematische Verhinderungspolitik, vor allem aber ist sie eine Schande für die Bahn.«
    Schwarz hatte Thomas Engler im Blick und sah, dass der keine Miene verzog.
    »Ursprünglich sollten diese Fotografien in einem Zug gezeigt werden, der nach der Ausstellung in München nach Kaunas in Litauen aufbrechen sollte – in einem historischen Waggon 3.   Klasse, wie er für die Deportationen eingesetzt wurde. Dieser Plan ist daran gescheitert, dass ein Kostenvoranschlag der Deutschen Bahn für die Nutzung ihres Schienennetzes und ihrer Bahnhöfe sowie die erforderliche technische Kontrolle der Garnitur, also von Lok und Waggons, eine sechsstellige Summe ausgewiesen hat. Die polnischen und litauischen Partner übrigens hätten auf alle Gebühren verzichtet.«
    Im Publikum wurde Empörung laut, Thomas Engler wirkte jetzt sichtlich angespannt.
    »Nachdem mein erstes Konzept nicht verwirklicht werden konnte, wollte ich die Ausstellung in der Schalterhalle des Münchner Hauptbahnhofs zeigen – Sie wissen, dort wo Bonbons und Croissants verkauft werden. Ich war guten Mutes, auch wenn es gewisse Sicherheitsbedenken gab und jeder Hinweis auf die Ausstellung im übrigen Bahnhofsbereich verboten wurde. Leider überraschte mich die notleidende Bahn erneut mit einer astronomischen Summe für die Platzmiete.«
    Nun buhten auch die Schüler.
    »Ich habe also auch das zweite Konzept verworfen, denn ich finde, es reicht zu wissen, dass die Vorläuferin der heutigen Bahn damals von den Juden einen Fahrpreis für die Deportation in den Tod verlangt hat.«
    Thomas Engler schüttelte empört den Kopf. »Das kannst du doch nicht vergleichen!«
    »Doch«, sagte sein Großvater ruhig. »Das Prinzip ist nämlich immer dasselbe: Die Bahn kassiert, egal, um was es geht.«
    Er bekam großen Beifall, sein Enkel hingegen schien zu überlegen, ob er die Veranstaltung besser verlassen sollte.
    »Die Bahn kassiert immer«, nahm Rudi Engler den Faden wieder auf, »aber nicht bei dieser Ausstellung. Darauf bin ich sehr stolz und danke der Firma Fisser und Co., die diese Halle kostenlos zur Verfügung gestellt hat, außerdem dem Stadtarchiv München für die geduldige Beratung und den vielen Unterstützern, die für die Reproduktion der Fotos gesorgt und gespendet haben. Und Ihnen, die Sie heute hierher gekommen sind, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.«
    Es gab noch einmal lang anhaltenden Applaus, dann konnte Rudi Engler von allen Seiten persönliche Glückwünsche entgegennehmen. Auch Thomas stellte sich, wohl um seine Souveränität zu beweisen, in die Reihe und drückte seinem Großvater die Hand. »Du kennst meine Haltung, Opa, trotzdem Kompliment.« Rudis Lächeln wirkte gezwungen.
     
    Schwarz passte seinen Auftraggeber am Ausgang ab. »Herr Engler, ich habe Neuigkeiten für Sie.«
    »Ah, sehr gut. Können Sie später bei mir zu Hause vorbeikommen? Sagen wir um acht?«
    Schwarz schaute auf die Uhr. »Ja, das geht.«
    Er kehrte noch einmal in die Halle zurück, um sich einzelne Fotos in Ruhe anzusehen. Rudi Engler lehnte an einer Säule und hatte sich eine Pfeife angesteckt.
    »Glückwunsch, Herr Engler«, sagte Schwarz.
    »Danke. Gefällt Ihnen die Ausstellung?«
    »Ja, sie ist sehr sachlich, fast nüchtern, und geht einem trotzdem unter die Haut.«
    »Das war meine Absicht.«
    Die Lehrerin näherte sich mit ihrer Klasse. »Dürfen wir Ihnen eine Frage stellen, Herr Engler?«
    »Dazu bin ich hier.«
    »Meine Schüler würden gern wissen, warum Sie sich ausgerechnet mit der Rolle der Bahn während der Nazizeit beschäftigt haben?«
    »Wissen Sie, ich war Eisenbahner und habe mich schon immer für Geschichte interessiert.«
    Einige der Jugendlichen stöhnten demonstrativ.
    »Aber es gibt noch einen anderen, sehr persönlichen Grund.« Er sog an seiner Pfeife. »Ich war so alt wie ihr, als ich mit meiner Mutter aus München evakuiert wurde. Wir haben mit einer anderen ausgebombten Familie im Austragshäuschen eines Bauernhofs bei Schwabhausen gewohnt. Drei Tage vor Kriegsende haben wir Kinder es kaum noch erwarten können, dass die Amis endlich kamen. Irgendwie hatte es sich herumgesprochen, dass es dann Kaugummis und Zigaretten gab.«
    »Sie haben schon als Kind geraucht?«, fragte ein Junge.
    »Nur ein einziges Mal, um die Befreiung von den Naziszu feiern«, flunkerte Engler und fuhr fort. »An jenem Tag also hörte ich, dass auf der Bahnstrecke hinterm Haus mit kreischenden Bremsen ein Militärzug zum Halten kam. Ich bin sofort

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