Personenschaden
Pseudonyme, die mein Verdächtiger benutzt.«
»Jedenfalls will dieser Grenzebach gesehen haben, wie der Fahrer in Deisenhofen eine weibliche Person in den Führerstand zusteigen ließ, mit der er sich dann intensiv unterhalten hat. Und jetzt kommt’s: Grenzebach wirft ihm vor, beim Halt am Bahnhof Otterfing durch diese Frau, die sich gegen alle Vorschriften im Führerstand aufhielt, erheblich in seiner Konzentration gestört gewesen zu sein. Dadurch habe er ihn beim Aussteigen übersehen und sei zu früh mit noch offenen Türen wieder losgefahren.«
»Gab es Zeugen?«
»Nein. Zumindest hat sich keiner gemeldet. Es war die letzte S-Bahn in dieser Nacht und kurz vor der Endstation in Holzkirchen war kaum noch jemand im Zug.«
»Und die Frau?«
»Einen Moment. Die Frau …«
Schwarz schaltete die Scheibenwischer an und beobachtete eine Gruppe asiatischer Touristen, die im Gänsemarsch im U-Bahnhof Universität verschwanden.
»Hier habe ich das Vernehmungsprotokoll. Klaus Engler gibt an, dass er nie und auch nicht in dieser Nacht betriebsfremde Personen im Führerstand mitgenommen hat. Die Frau sei ein Phantasieprodukt. Das Opfer versuche offenbar mit allen Mitteln, ihm die Schuld an dem bedauerlichen Unglück anzulasten.«
»Haben die Kollegen aus Rosenheim sich über Grenzebachs Persönlichkeit ausgelassen?«
»Sie beschreiben ihn als psychisch auffällig.«
»Das wären wir auch, Kolbinger, wenn uns ein Zug ein Bein abgerissen hätte.«
»Engler hingegen halten sie für vertrauenswürdig. Im Juli 1999 sind die Ermittlungen eingestellt worden. Das konnte Grenzebach aber wohl nicht akzeptieren.«
»Aha?«
»Ich habe hier noch einen Vorgang. 3. 7. 2001: Klaus Engler meldet sich bei der Inspektion in Laim und gibt an, von Achim Grenzebach bedroht worden zu sein.«
»Fast drei Jahre nach dem Unfall.«
»Angeblich hat dieser Geld von ihm gefordert und ist handgreiflich geworden. Nach einem Besuch bei Grenzebach stufen die Kollegen diesen als ungefährlich ein. Er sei zwar ein wenig verwirrt, aber harmlos. Sie belassen es bei einer Ermahnung, und nach diesem Vorfall wird Grenzebach nicht mehr aktenkundig.«
Schwarz brauchte einen Weile, um alle Informationen zu verdauen. Es war also nie um Tim Burger gegangen, sondern um eine persönliche Rachegeschichte. Grenzebach hatte es sich zunutze machen wollen, dass Neonazis den gescheiterten Attentäter und Selbstmörder Burger glorifizierten. Aber noch während der Planung des Sprengstoffanschlags auf Englers Lok hatte er seine Ziele geändert. Plötzlich wollte er Klaus Engler nicht mehr töten, sondern grausam quälen und in der Seele verletzen – genauso, wie er sich offenbar gequält und verletzt fühlte. Dafür suchte er einen neuen Helfer und fand ihn im Suizid-Forum mit dem labilen und todessehnsüchtigen Matthias Sass.
»Bist du noch da, Anton?«
»Ja.«
»Ist Grenzebach der Mann, den du suchst?«
»Ich bin mir sicher.«
»Warum ist er, nachdem er sich jahrelang ruhig verhalten hat, wieder aktiv geworden?«
Eine gute Frage. Was hatte Grenzebachs Rachebedürfnis plötzlich wieder angeheizt?
»Hat es vielleicht was mit diesem Lokführerstreik zu tun?«, mutmaßte Kolbinger.
»Ich weiß nicht.« Da fiel es Schwarz wie Schuppen von den Augen: ›Der Schatten über den Schienen‹
.
»Erinnerst du dich an die Reportage in der ›Süddeutschen‹ über die Auswirkungen von Bahnsuiziden auf die Psyche der Lokführer, Kolbinger?«
»Ich lese den ›Merkur‹. Ging es da um Klaus Engler?«
»Genau, und den Selbstmord von Burger. Dieser Artikel muss für Grenzebach wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein.«
»Wieso?«
»Weil ausgerechnet der Mann, der seiner Ansicht nach sein Leben zerstört hat, als bedauernswertes Opfer dargestellt wird.«
Schwarz überlegte. Die große Frage war jetzt, ob dieser Grenzebach, nachdem es ihm gelungen war, Engler einen Selbstmörder vor die Lok zu treiben, mit seiner Rache am Ende war. Oder würde er seinen Feldzug fortsetzen? Und wenn, was hatte er als nächstes vor?
»Anton, diese Geschichte ist heißer, als ich gedacht habe«, meldete Kolbinger sich wieder zu Wort.
»Hm.«
»Zu heiß für einen Privatermittler.«
Schwarz hatte es befürchtet und musste sich eingestehen, dass der Ex-Kollege recht hatte. Allein der geplante Sprengstoffanschlag, von dem die Woltermann-Brüder berichtet hatten, zeigte, dass Achim Grenzebach zu allem fähig war. Außerdem verfügte er offenbar über eine hohe Intelligenz
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