Perth
Perths verständnisvolleren Freundinnen, nannte sie »Reißzahn«. Das war vielleicht etwas absurd, da Perth immerhin das ehrwürdige Alter von sechzehn Jahren erreicht hatte, aber vielleicht auch nicht?
In diesem Jahr wurde mir eine neunmonatige Gastprofessur am William and Mary College in Virginia angeboten. Es klang verlockend. Claire hatte noch nie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt. Andrew war bereits einmal in Florida bei seiner Großmutter gewesen, aber nur als Kleinkind. Außerdem wollten Cindy und ich gerne für ein paar Monate in die Staaten zurückkehren. Es war neun Jahre her, seit wir sie verlassen hatten. Aber was würden wir mit Perth machen? Wir standen wieder einmal vor dem ewig gleichen Problem.
Ein Zwinger kam nicht infrage. Wir sahen uns nach Freunden ohne Kinder um, die vielleicht gerne für neun Monate einen Beagle bei sich hatten. Es war zu riskant, Perth in einem Haus mit Kindern unterzubringen, die nicht wussten, wie man sich ihr gegenüber verhalten musste. Eines Sommerabends, als Cindy und ich gerade über das Problem nachdachten, hatte ich eine Idee.
»Wie wäre es mit Alistair und Stella Shaw in der Church Lane ? Sie sind jung und vernünftig, haben keine Kinder, und auch sonst gibt es nichts, was das Ganze verkomplizieren würde. Vielleicht hätten sie Perth ganz gerne für ein paar Monate. Ich habe gesehen, wie er sie neulich gestreichelt hat .«
»Das ist eine großartige Idee«, antwortete Cindy. »Sie ist Lehrerin und kommt jeden Tag früh nach Hause. Perth könnte sie sogar in der Schule besuchen, sie befindet sich gleich gegenüber von ihrem Haus .«
»Was macht Alistair beruflich ?«
»Er arbeitet in einem Weinberg in der Nähe von Arundel .«
»Perfekt. Perth könnte ihm dort auch Gesellschaft leisten. Es würde ihr Spaß machen, zwischen den Weinreben herumzutoben .«
Alistair Shaw, ein gut aussehender, schlanker junger Mann, Mitte zwanzig, der stolz einen schicken Schnurrbart trug, arbeitete an den Wochenenden als Koch, aber im Weinberg war es sein Job, die Weinstöcke zu schneiden und an den Holzgerüsten festzubinden. Der Weinberg schmiegte sich in ein paar sanfte Täler an den südlichen Hängen der Downs und war bekannt für seinen Weißwein. Alistair und Stella waren einfache Leute, die hart arbeiteten. Sie wohnten in einer Hälfte eines kleinen Doppelhauses, das zwischen den Kriegen gebaut worden war. Hinter dem Haus befand sich ein funktioneller Garten, der gerade groß genug war, um einen Tisch und ein paar Stühle rauszustellen und etwas Gemüse anzubauen. Ich hatte die beiden immer gern gemocht.
Am nächsten Tag gingen wir zu ihnen. Wir erzählten ihnen von unserer Idee und waren erstaunt, wie begeistert sie davon waren.
»Oh, wir würden Perth liebend gerne nehmen«, sagte Stella. »Perth ist so süß. Wir wollten so gerne einen Hund haben. Wie alt ist sie denn ?« Alle Augen richteten sich einen Moment lang schweigend auf Perth. Sie saß auf dem Teppich und sah mich aufmerksam und mit hochgezogenen Ohren an. Sie wusste, was vor sich ging, schien aber unbeeindruckt zu sein.
»Ob Sie es glauben oder nicht, sie ist sechzehn«, antwortete ich.
»Tatsächlich ?« , sagte Alistair. »Dafür sieht sie aber gut aus. Ich habe sie schon häufig überall herumrennen gesehen. Sie könnte mich zum Weinberg begleiten, sofern sie keine Weintrauben von den Reben klaut !« Er lachte.
Bei dieser Bemerkung fühlte ich mich etwas unbehaglich. Ich erinnerte mich an die Erdbeeren in den Huntington Gärten in Kalifornien und an eine Reise, die Cindy, Perth und ich vor Jahren mit dem Auto von Boston nach Neu Braunschweig in Kanada gemacht hatten, als Perth fünf Jahre alt war. Irgendwo auf einer einsamen Straße in Kanada blieb unser Auto liegen, und während wir versuchten, den Motor in Gang zu bringen, schlich Perth sich leise in die Büsche neben der Straße. Sie hatte ein paar Blaubeersträucher entdeckt und pflückte systematisch und vorsichtig die saftigen Beeren ab. Als wir es bemerkten, musste sie bereits Dutzende gefressen haben. Ihr Maul war ganz blau und ihr Atem duftete wunderbar fruchtig. Sie sah hochzufrieden mit sich aus. Es bedurfte keiner großen Fantasie, sich vorzustellen, wie sie eine Riesenladung von Alistairs weißen Sussex-Weintrauben verschlang. Aber ich sagte nichts.
»Sie können sie frei laufen lassen«, sagte ich. »Sie müssen nicht extra mit ihr spazieren gehen.«
Die Shaws waren so begeistert, dass wir sofort vereinbarten, Perth zur
Weitere Kostenlose Bücher