Pesch, Helmut W.
die er unter die Macht seines Speeres zwang, aber zugleich auch für sich selbst.
Darum ging Odin hin und zeugte mit einem Menschenweib ein Zwillingspaar, deren Kind seinen Plan erfüllen sollte.
Alberich, unser Meister, der Odin beobachtete, versuchte, diesen Plan zu vereiteln. Aber die Menschen, tapfere Krieger, die er aus-sandte, trafen Vater und Sohn nicht an. Sie töteten das Weib und schleppten die Tochter fort. Aber Odin gelang es mit Winkelzügen, die beiden Geschwister dennoch zusammenzubringen, und ein Erbe wurde gezeugt: Siegfried.
Aus Angst vor den Folgen, die sein Eingreifen für ihn selbst haben könnte, verriet Odin seinen eigenen Sohn; dafür stellte sich Siegfried, nachdem er das Gold und den Ring errungen hatte, gegen ihn und tat, was sonst keiner hätte vollbringen können: Er zerbrach Odins Speer.
Doch auch Alberich hatte in weiser Voraussicht einen Sohn gezeugt. Er sollte die Rache an den Weisungen, Odins Brut, vollenden.
Sein Name war Hagen.«
»Hagen … war Alberichs Sohn?«, konnte Hagen sich nicht enthalten zu fragen.
»Nach außen hin galt er als Sohn des Königshauses der Burgunden, doch kein menschlicher Vater hatte ihn gezeugt. Alberichs leiblicher Sohn war er und sein Erbe, zu dem er nun dich erkoren hat. Die Geschichte malt ihn immer in den düstersten Farben, doch er war seinem Vater treu und seinem Auftrag, das Gold und den Ring wieder in den Besitz der Nibelungen zu bringen.
An den Hof der Burgunden kam Siegfried, als strahlender Held, nachdem er Brunhild, Odins Walküre, befreit hatte, die einst seine Mutter gerettet hatte und dafür von dem Einäugigen aus Rache in einen Zauberschlaf versenkt worden war. Doch sobald er die schö-
ne Gudrun, die Schwester des Burgundenkönigs erblickte, verschwendete er keinen Gedanken mehr an seine erste Liebe. Ja, er half dem König sogar, Brunhild für sich zu gewinnen, obwohl er ihr die Ehe versprochen hatte. Mit dem Ring der Macht, der ihn unsichtbar machte, half er ihm, die Walküre im Kampf zu besiegen, doch dann, als er bei Nacht an seiner statt zu ihr ging, gab er ihr den Ring als Zeichen seiner Treue. Darüber kam es zum Streit zwischen den beiden Frauen, und Gudrun bat Hagen, ihre Ehre zu rächen, und so tötete er Siegfried an Mimirs Brunnen mit dem Speer. Und so vollendete sich der Fluch Odins.
Den Schatz aber, der nun Gudrun als Siegfrieds Erbin gehörte, versenkte er in den Tiefen des Rheins, und keiner hat ihn je mehr gesehen. Doch Gudrun hat diese Schmach nie verwunden, und darum führte sie Hagen, ja, ihre ganze Sippe, an den Hof des Hun-nenkönigs, den sie geehelicht hatte, und durch ihren Verrat ging das ganze Geschlecht der Burgunden dahin.«
»Und was ist aus dem Ring geworden?«, fragte Hagen.
»Brunhild trug ihn bei sich, als sie zu Siegfried auf den Scheiterhaufen sprang, um mit ihm in den Tod zu gehen. Und seitdem hielten wir ihn für verloren. Doch vielleicht ist er mit ihrer Asche in den Rhein versunken und gelangte von dort zurück in Mimirs Quell, in den alle Wasser der Welt am Ende münden.
Damit war auch des Ende der Asen gekommen. Denn ohne Odins Zauber verging ihre Macht. Walhall zerfiel, der Glanz der Götter verblasste. Und sie, die einst die Herren der Welt gewesen waren, wurden zu Naturgeistern und Spukgestalten, die vergehen, wenn der Glaube der Menschen an sie vergeht.«
»Die Götterdämmerung«, sagte eine andere Stimme. »Sie kam nicht mit Donnerhall und Schlachtgetöse, sondern mit einem Win-seln. Und dann kam Herr Odin eines Tages angekrochen, als Bitt-steller, mit den Resten seines einst stolzen Volkes. ›Lichtalben‹
nannten sie sich; mehr war von den stolzen Asen nicht übrig geblieben. Ein Plätzchen wollten sie erbetteln in unserer düsteren Unterwelt. Doch als ich ihnen sagte: ›Geht! Ihr habt uns genug Leid gebracht‹, da drangen sie mit Gewalt in unser Reich ein, und seitdem herrscht bitterer Zwist zwischen den Letzten der Lios-alfar und den Erben der Nibelungen.«
Ohne dass es Hagen bemerkt hatte, war Alberich hinter ihn getreten. Alberichs Miene war undurchschaubar; ein alter Groll schien in ihm zu toben, aber da war noch etwas, das Hagen nicht zu deuten wusste. Doch auch Hoffnung flackerte in diesem Blick, und Hagen war sicher, dass ihm diese Hoffnung galt – ihm ganz allein.
»Lass uns in die Halle gehen … Vater«, sagte Hagen.
Der König der Swart-alfar nickte nur, wandte seinen Blick von Hagen und ging an der Seite des Jungen den Gang in Richtung Kö-
nigshalle
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