Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
dann das Ritual vorbereiten. Sie hatte sicher über eine Stunde lang ohne Bewusstsein dagelegen, das wusste sie aus Erfahrung. Ihr Bein war geheilt, wie die anderen Verletzungen auch. Was diese sinnlose Attacke nur zu bedeuten hatte? Ein letzter, verzweifelter Versuch, sie aufzuhalten? Wie jämmerlich! Nun, er hatte versagt und sie hatte gewonnen!
Melissa de Ville wechselte ihre blutverschmierte, zerrissene Kleidung und bereitete sich vor, dem Drachen zu begegnen. Nichts konnte sie noch aufhalten!
Der Raum, den sie nun aufsuchte, war so gut versteckt und verborgen, dass sie selbst die einzige, lebende Person war, die überhaupt von seiner Existenz wusste. London war zu allen Zeiten ein beliebter Siedlungsplatz gewesen. Schon aus der Zeit der Römer war bekannt, dass sie hier ein Militärlager unterhielten. Später musste hier, an der Stelle, an der nun das Palais de Ville stand, eine Kirche oder ein Kloster gestanden haben. Beim Bau des Fundamentes war man auf einen unterirdischen Raum gestoßen und hatte ihn mit in die Kellergewölbe des Palastes einbezogen. Das war vor bald siebzig Jahren gewesen und nur noch Melissa selbst erinnerte sich daran. Dafür hatte sie gesorgt. Nach und nach waren alle, die von den alten Kirchengewölben wussten, auf geheimnisvolle Art ums Leben gekommen. Melissa hasste es, Zeugen zu hinterlassen.
Der Raum war ein großes, flaches Gewölbe mit mächtigen Strebepfeilern. Die Wände selbst waren aus grauem Sandstein geschlagen, glatt und schmucklos, doch strahlte der Raum etwas Ehrfurcht gebietendes aus.
In der Mitte des Raumes, der groß genug war, auch den Drachen in sich aufzunehmen, stand ein Steinbecken, vielleicht ein alter Taufstein, doch von den Jahrhunderten so zerfressen, dass kaum noch etwas von den ehemals reichen Ornamenten zu erkennen war.
Melissa entzündete die Fackeln, die in regelmäßigen Abständen in eisernen Haltern an den Wänden angebracht waren. Ein flackernder Lichtschein warf tanzende Schatten auf den Steinboden.
Melissa stellte die drei Flaschen vor dem Becken so auf, dass sie sie leicht erreichen konnte, wenn sie in dem Becken säße. Dann stieg sie in die Vertiefung, in der einst das Wasser für die Taufe bereitgehalten worden war und setzte sich mit überkreuzten Beinen zurecht.
Sie schloss ihre Augen und atmete tief und langsam ein paar Mal ein und aus. Sie bereitete sich vor. Ruhe. Entspannung.
Dann atmete sie erneut ganz tief ein, hielt den Atem an und nahm die erste Flasche zur Hand. Sie blies die Luft heraus, setzte die Flasche an und trank die Flüssigkeit in einem Zug bis auf den letzten Tropfen. Als sie leer war, ließ sie das Gefäß achtlos fallen. Die Flasche, die mehr gekostet hatte, als ein Schuhmacher in einem Jahr verdiente, zerschellte vor dem Becken auf dem Steinboden in tausend Scherben.
Eine eisige Kälte kroch in Melissa de Villes Rückenmark hoch.
Der Prozess hatte begonnen.
Der Wind hatte sich zu einem mittleren Sturm ausgeweitet und Rebekka erschien der dicht fallende Schnee wie eine massive Mauer zu sein, kalt, hart und undurchdringlich. Mühsam stapfte sie weiter. Ob der Golem noch hinter ihr war, konnte sie nicht sagen. Die Sicht reichte kaum fünf Fuß weit. Alles war wirbelndes, tobendes Weiß! Nur der Wind orgelte mit an- und abschwellendem Heulen seine kalte Melodie.
Auf Rebekkas Umhang hatte sich eine dicke Schicht aus Schnee gebildet. Sie hatte aufgehört, den frischen Schnee abzuklopfen. In ihrem fast schwarzen Umhang war sie vor dem allgegenwärtigen Weiß zu gut auszumachen. Der Schnee tarnte sie besser, ein tragbares Versteck. Auch ihre Hutmaske, die sie wieder trug, erwies sich als hervorragender Schutz vor dem Schnee und der Kälte. Rebekka strauchelte, als ihr Fuß von etwas abrutschte, das unter dem Schnee verborgen war. Die Kante des Trottoirs war kaum zu erkennen gewesen. Sie rappelte sich hoch und kniff die Augen zusammen. Sie war fast am Ufer der Themse angekommen. Wohin konnte sie gehen?
Dann kam ihr der Vampir in den Sinn. Er sollte seine Arbeit im Palais de Ville schon lange erledigt haben, wenn denn alles so gelaufen war, wie er sich das gedacht hatte. Rebekka hatte ihr Zeitgefühl eingebüßt. Wie lange war sie ohnmächtig gewesen nach der Umklammerung durch das Lehmwesen? Wie lange irrte sie schon durch den Schneesturm, auf der Flucht vor Jeremias Wimmer und seinem unwirklichen Erfüllungsgehilfen? Sie konnte es nicht einschätzen, aber die Zeit musste gereicht haben, um den Plan umzusetzen. Sie
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