Pestmond (German Edition)
ausrichten.« Ohne ein weiteres Wort drehte Andrej sich um und ging zu dem Nubier.
Der hatte derweil einen Mann in die Takelage geschickt, um dort etwas zu reparieren, das dem Kampf zum Opfer gefallen war, und wies gerade brüllend einen anderen an, sich um das Focksegel zu kümmern, falls er den nächsten Sonnenaufgang noch erleben wolle, ob sie diesen Kampf nun gewannen oder nicht. Der Mann tat Andrej aufrichtig leid (obwohl er bezweifelte, dass der Assassine überhaupt wusste, was ein Focksegel war), doch er konnte ein flüchtiges Lächeln trotzdem nicht unterdrücken.
Dann wurde er sofort wieder ernst und musste sich beherrschen, um sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen, als er näher kam und in Abu Duns Gesicht sah. Dessen ebenholzfarbene Haut war blass, und er stützte sich schwer auf das Speichenrad. Obwohl Andrej die Antwort kannte, fragte er: »Fühlst du dich auch wirklich stark genug dazu?«
»Mich auf das Steuer zu stützen?« Abu Dun nickte. »Wenn ich mich sonst nicht übermäßig anstrenge – wie zum Beispiel, indem ich atme –, dann werde ich wohl damit zurechtkommen, Sahib, Obwohl …« Er unterbrach sich und hustete leise, bevor er langsam in die Knie zu brechen begann und nur deshalb nicht fiel, weil er sich mit seiner gesunden Hand am Steuer festhielt.
»Abu Dun!« Mit einem einzigen Satz war Andrej bei ihm und streckte die Arme aus, um ihn aufzufangen, doch da richtete sich Abu Dun schon wieder zu seiner ganzen Größe auf. »Es geht mir schon wieder besser«, feixte er. »Aber es ist schön, zu sehen, dass du dich um mich sorgst. Die meisten anderen wollen mir an den Kragen.«
»Das eine schließt das andere nicht aus«, sagte Andrej ärgerlich. »Hältst du das vielleicht für den richtigen Moment, um Witze zu machen?«
»Nein«, gestand Abu Dun, ungerührt weitergrinsend. »Aber vielleicht ist es die letzte Gelegenheit. Sie werden uns kriegen, das ist dir doch klar?«
»Ja«, sagte Andrej.
»Und da draußen war ein zweites Schiff, ganz gleich, was Ali auch behaupten mag.«
Andrej hatte kein Schiff gesehen, aber er konnte auch nicht mit Sicherheit sagen, dass dort draußen nichts gewesen wäre. Darüber hinaus spürte er, dass Abu Dun auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte. »Und?«
»Und da ist noch etwas«, sagte Abu Dun mit gesenkter Stimme und auch erst, nachdem er einen raschen Blick zur Caravelle zurückgeworfen hatte, als müsste er sich davon überzeugen, dass ihm auch noch genügend Zeit für seine Antwort blieb. »Der Mann, den du getötet hast …«
»Bitte nicht jetzt«, sagte Andrej unwillig. »Wir reden darüber, aber jetzt ist wirklich nicht der passende … «
»Das meine ich auch nicht«, fiel ihm Abu Dun ins Wort. Wieder wanderte sein Blick aufs Meer hinaus, doch mit einem Mal war Andrej sich nicht mehr sicher, ob er tatsächlich die Caravelle suchte. »Dieser Mann mit der Uniform. Ich kenne ihn.«
»Was für ein Unsinn!«, sagte Andrej scharf. »Du kannst gar nicht …«
»Ich war im allerersten Moment nicht ganz sicher«, unterbrach ihn Abu Dun erneut, jetzt in so ernstem Ton, dass Andrej ihn alarmiert ansah, »aber dann habe ich ihn genau erkannt.«
»Woher? Aus Jaffa?«
Abu Dun schüttelte heftig den Kopf und benutzte seine in Sackleinen gewickelte eiserne Hand, um das Steuer um ein gutes Stück zu drehen. Die Pestmond ächzte zwar protestierend, schwenkte aber gehorsam herum. Aus den Rahen über ihnen erklang ein überraschter Ausruf, dann spannte sich das Segel mit einem weichen Schlag, und Andrej spürte, wie das Schiff Fahrt aufnahm. Jetzt würde es vielleicht noch einmal einige wenige Minuten länger dauern, bis ihre Verfolger sie wieder einholten. »In Venedig«, sagte er. »Ich erinnere mich genau. Er hat auf einem der Kriegsschiffe im Hafen gedient.«
»Und da bist du ganz sicher?«, fragte Andrej.
»Ganz sicher«, antwortete Abu Dun leicht verstimmt. Sein Gedächtnis war ebenso gut wie das Andrejs und aller anderer Unsterblichen, die sie kennengelernt hatten. »Ich vergesse nie ein Gesicht, in das ich einmal hineingeschlagen habe.«
»Dann kann es nicht derselbe Mann gewesen sein.«
Abu Dun zog missbilligend die Brauen zusammen. »Ich wollte ihm nur eine Lektion erteilen und habe ihn am Leben gelassen – was möglicherweise ein Fehler war. Aber ich habe ihn erkannt. Und auch die Uniform. Sie stammt aus Venedig.«
»Das beweist nicht, dass auch das Schiff aus Venedig kommt.«
Abu Duns Brauen zogen sich noch ein gutes Stück weiter
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