Pestmond (German Edition)
Männer um einer noblen Geste willen wegwirfst.« Als Ali immer noch zögerte, nahm Hasans Stimme einen eindringlichen Ton an, und in seinen Augen war plötzlich ein Feuer, das vergessen ließ, wie alt er eigentlich war. »Die Pestmond darf nicht zu euer aller Grab werden. Du wirst unseren Plan umsetzen und Andrej und Abu Dun nach Rom bringen, damit sie dort tun, was getan werden muss!« Er machte einen Schritt auf Ali zu und sah ihm fest in die Augen. »Muss ich es dir befehlen?«
»Diesen Befehl würde ich verweigern«, sagte Ali, »und alle meine Männer auch.«
Aber das musste er nicht: Ein dritter Kanonenschuss rollte über das Meer heran, doch leiser dieses Mal, und das rote Wetterleuchten war auch ein gehöriges Stück entfernt. Vielleicht dreißig oder weniger Fuß hinter der Caravelle erhob sich weißer Schaum aus dem Meer, und schon blitzte ein weiteres Mündungsfeuer auf und kurz darauf ein drittes. Der zweite Kanonenschuss verfehlte die Caravelle sogar noch weiter, die dritte Kugel jedoch schlug in ihr Heck ein, das für einen Moment in einer Wolke aus Gischt und Trümmerteilen verschwand. Das ganze Schiff schüttelte sich, und ein Chor aus gellenden Schreien wehte über das Meer an ihr Ohr.
Aber dem dritten Schuss folgte kein vierter mehr. Andrej warf einen Blick zu Abu Dun, der offensichtlich genauso besorgt war wie er. Er zählte langsam. Als er bei fünfzig angekommen war, fielen rasch hintereinander drei weitere Kanonenschüsse, die ihr Ziel allesamt verfehlten. Die Caravelle hatte aufgehört, sich wie ein wundes Tier zu schütteln und begann wieder Fahrt aufzunehmen und zugleich den Kurs zu ändern. Aus dem Heck stieg Rauch, und einige wenige Flammen züngelten empor, doch Andrej sah auch, wie sich die Klappen vor den Geschützluken eine nach der anderen wieder hoben und sich mehr als ein Dutzend Kanonenrohre ins Freie reckten.
»Das wird nicht lange dauern«, sagte Abu Dun leise. »Sie haben nur drei Kanonen.«
»Gott hat meine Gebete wohl doch erhört«, sagte Hasan. »Und du solltest deine Meinung über die Menschen vielleicht noch einmal überdenken, Andrej. Diese Fremden da helfen uns!«
»Nein«, antwortete Andrej. »Sie begehen Selbstmord.« Und trotzdem war es vielleicht ihre Rettung – wenn sie sehr, sehr viel Glück hatten.
Kapitel 22
S ie hatten kein Glück, und wenn es den Gott, zu dem Hasan so inständig betete, denn wirklich gab, dann hatte er offenbar beschlossen, ihnen übel mitzuspielen. Dabei hatte es durchaus vielversprechend begonnen. Der Wind hatte aufgefrischt, sodass sie trotz des beschädigten Segels noch einmal Fahrt aufgenommen hatten, und dazu hatte sich der Himmel mit schweren Regenwolken bezogen, die ihre Last zwar noch für sich behielten, die Nacht aber weiter verdunkelten und damit ihre Chancen zu entkommen erhöhten. Selbst die Schäden an der Pestmond hatten sich zu Andrejs Erleichterung als nur gering erwiesen, und auch die Assassinen zeigten sich erneut als gelehrige Schüler und führten die knappen Anweisungen, die er den Männern gab, präzise und ohne zu murren aus, sodass das Schiff schon nach ganz kurzer Zeit wieder seetüchtig war.
Der verwundete Mann war unter Deck geschafft worden, wo sich Kasim um ihn kümmerte, abgesehen von dem Mädchen der Einzige an Bord, der nicht an dem Kampf teilgenommen hatte. Die drei Toten hatten Ali und Hasan in ihre Mäntel gewickelt, um eine Seebestattung zu vollziehen – wobei Ali die schwere körperliche Arbeit übernahm und Hasan mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen dabeistand und betete.
Die Schlacht auf dem Meer in der Ferne war noch nicht vorbei. Immer wieder rollte Kanonendonner durch die Nacht heran, und von Zeit zu Zeit blitzte es in der Dunkelheit hinter ihnen auf, manchmal nur ein greller Funke, der sofort wieder erlosch und dem kurz darauf ein dumpfer Knall folgte, viel zu oft aber ein helles Lichtgewitter aus einem Dutzend oder mehr Mündungsflammen, begleitet von einem anhaltenden Donnern. Sie waren zu weit entfernt, um mehr zu sehen oder zu hören, aber seine Fantasie machte sich einen Spaß daraus, die Schwärze mit den dazugehörigen Bildern und Geräuschen zu füllen: berstendes Holz und reißende Segel, die Schreie der Sterbenden und Verwundeten, der tödliche Flammen-und Splitterregen, wenn die Zwölfpfünderkugeln auf das Schiff einprügelten. Die Caravelle schoss ihren unterlegenen Gegner methodisch in Stücke. Er musste nichts sehen, um zu wissen, was dort geschah.
Sie hatten
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