Pestmond (German Edition)
Ankündigung weitere Erklärungen folgen zu lassen, einen großen Schritt nach hinten und maß ihn mit einem langen Blick von Kopf bis Fuß.
»Du gefällst mir gar nicht, Hexenmeister«, sagte er. »Ist auch wirklich alles in Ordnung?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Andrej scharf. »Aber mach dir keine verfrühten Hoffnungen, Pirat! Ich habe schon Schlimmeres überstanden.« Bevor Abu Dun ihn mit der Frage in Verlegenheit bringen konnte, wann und vor allem was das gewesen sein sollte, fuhr er mit lauterer Stimme fort: »Wolltest du mir nicht etwas zeigen?«
Abu Dun wedelte mit dem abgerissenen Arm, dann klemmte er ihn sich unter die rechte Achsel, griff mit der anderen Hand danach und brach ihn ohne die geringste Mühe am Ellbogengelenk entzwei.
»Um Gottes willen, Pirat, was soll das?«, fragte Andrej angewidert.
»Das war zu leicht«, erwiderte Abu Dun. »Sogar für mich.« Um zu demonstrieren, was er meinte, riss er auch noch die Hand ab, schloss seine gewaltige Pranke darum und zermalmte sie.
»Zu leicht«, sagte er noch einmal.
Was zwischen seinen Fingern hervorquoll, verströmte zwar einen erbärmlichen Verwesungsgestank, sodass Andrej angeekelt das Gesicht zu verzog und zurückzuckte, aber es erinnerte dennoch eher an nasse Erde und faulende Blätter als an etwas, das einmal zu einem Menschen gehört hatte.
Abu Dun betrachtete nachdenklich den zweigeteilten Arm, bevor er ihn ebenfalls ins Wasser warf und sich die Hand an der Reling abwischte. »Noch vor ein paar Stunden habe ich mit diesem Mann gesprochen, Andrej, genau wie du. Er war lebendig. Er hatte schlechte Zähne und hätte sich wahrscheinlich in ein paar Jahren zu Tode gesoffen, und er hat nicht besonders gut gerochen, das gebe ich zu – aber er war quicklebendig.«
»Und?«, fragte Andrej.
»Das da …« Abu Dun machte eine Kopfbewegung auf das Wasser hinab. War es Zufall, dass er das Wort Mensch mied? »… sieht aus wie etwas, das schon seit Wochen tot ist.«
»Und?«, fragte Andrej noch einmal.
»Der Geruch«, sagte Abu Dun. »Ist dir aufgefallen, wie sie riechen? Sie verfaulen.«
»Das könnte daran liegen, dass sie tot sind«, sagte Andrej.
»Seit ein paar Stunden«, antwortete Abu Dun. »Aber sie stinken, als wären sie vor einer Woche oder zwei aus ihren Gräbern gestiegen.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Andrej. Er trat neben den Nubier und legte beide Hände auf das morsche Holz der Reling. Da war etwas in ihm, das wühlte und fraß. Bisher war es ihm gelungen, es zu ignorieren, doch es war immer noch da.
»Wenn ich das wüsste …« Abu Dun seufzte tief, maß ihn mit einem neuerlichen, kaum weniger besorgten Blick und bückte sich dann, um eine Sturmlaterne aufzuheben, die er wohl aus dem Schiffsinneren mitgebracht hatte. »Fühlst du dich einigermaßen, oder soll ich noch einen Moment damit warten, das Signal zu geben? Nicht, dass ich es Ali nicht gönnen würde, noch ein bisschen zu frieren. Aber das Mädchen ist auch dort draußen.«
»Wenn du mich das noch einmal fragst, dann zeige ich dir, wie es mir geht«, versprach Andrej.
Abu Dun blieb ernst. Er sah ihm durchdringend in die Augen, dann setzte er die Laterne vor sich auf die Reling und kramte mit spitzen Fingern ein Paar Feuersteine aus einem Fach unter ihrem Metallboden. Andrej sah ihm schweigend und scheinbar interessiert zu, wie er mit nur einer Hand Funken zu schlagen versuchte, um den Docht zu entzünden, und rührte keinen Finger, um ihm zu helfen.
Wenigstens tat er so, als betrachtete er die Laterne.
In Wahrheit starrte er Abu Duns Hand an, die glatte schwarze Haut und das lebendige und warme Fleisch, das sich darunter verbarg. Und in das er so gerne hineingebissen hätte …
Kapitel 16
S onnenlicht, so kräftig, dass es nicht die ersten Strahlen der Morgensonne sein konnten, drang durch die Ritzen der Decksplanken über seinem Kopf. Das Bett, auf dem er lag, schaukelte sanft hin und her. Ihm war übel. Die Luft roch nicht nur nach Salzwasser und Tang, sondern auch nach etwas seit Langem Toten. Mit dem Geruch kamen die Erinnerungen.
Mit einem Schrei fuhr Andrej in die Höhe. Eine schmale Hand legte sich auf seine Schulter und versuchte ihn auf das stinkende Lager zurückzudrücken.
»Bleib liegen, Andrej! Es war nur ein Traum, und du wirst dich gleich besser fühlen.«
Die Hand zog sich zurück, bevor Andrej seinem ersten Impuls nachgeben und sie packen konnte, um sie aus dem Gelenk zu drehen oder gleich zu brechen. Er ließ sich wieder auf
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