Pestmond (German Edition)
keine Geheimnisse vor ihnen«, widersprach Hasan. »Aber es mag ihnen ergehen wie mir. Es ist eine Sache, etwas zu wissen …«
»Ich verstehe«, sagte Andrej. »Du glaubst, sie würden mich fürchten.«
»Hätten sie denn Grund dazu?«, fragte Hasan.
Andrej erwiderte nichts darauf, sodass sie eine kurze Weile in unbehaglichem Schweigen nebeneinandersaßen und darauf warteten, dass der jeweils andere nachgab. Schließlich fragte Andrej: »Also, was soll ich für dich tun?«
Hasan ging zur Tür und bedeutete ihm, ihm zu folgen, bevor er sie öffnete. Sie war so niedrig, dass er sich bücken musste und Abu Dun die Kajüte vermutlich gar nicht betreten konnte, ohne auf Händen und Knien zu kriechen.
»Ist das …?«
»Kapitän Vercellis Kajüte, ja«, bestätigte Hasan. »Er braucht sie nicht mehr. Ich finde, sie gebührt jetzt dir.« Er schien eine weitere Frage zu erwarten, doch Andrej tat ihm nicht den Gefallen, sondern starrte nur mit ausdrucksloser Miene auf ihn herab, sodass er nach einem Moment weiterging und mit mühsamen kleinen Schritten die steile Treppe am Ende des kurzen Korridors hinaufzusteigen begann, wobei er sich mit einer Hand an der morschen Bretterwand abstützte und immer beide Füße auf eine Stufe setzte, bevor er die nächste in Angriff nahm. Andrej sparte nicht mit spöttischen Blicken, obwohl er insgeheim fast dankbar war, dass dem alten Mann das Schaukeln des Schiffes sichtlich zu schaffen machte. Ihm selbst erging es nicht viel besser. Noch immer verspürte er ein sachtes Schwindelgefühl, das im Takt der Dünung schwächer und stärker wurde. Als er den Fuß auf die erste Stufe setzte, bohrte sich ein dünner weißer Schmerz in seinen verletzten Knöchel. Es gelang ihm, ihn zu ignorieren und nicht einmal zu humpeln, als er blinzelnd hinter Hasan auf das Deck des italienischen Seglers mit dem arabischen Namen hinaustrat.
Es war früher Morgen. Die Sonne stand bereits eine Handbreit über dem stetig auf, und ab steigenden Horizont (sein Magen versuchte mit wenig Erfolg, aber dafür umso hartnäckiger, der Bewegung zu folgen), war aber noch weit von ihrem Scheitelpunkt und damit der heißesten Stunde des Tages entfernt. Dennoch war ihr Licht schon so hell, dass das Meer wie ein Spiegel war, den man nur wenige Augenblicke ansehen konnte, bevor es einem die Tränen in die Augen trieb.
Als Andrej sich auf dem Deck umsah, entdeckte er zu seiner Erleichterung keinen einzigen Toten, weder reglos noch torkelnd. Doch als er den Blick hob, blieb er wie angewurzelt stehen und runzelte erschrocken die Stirn. »Das ist Jaffa«, sagte er, auf einen Schatten an der Küste deutend – einer noch sehr nahen Küste.
»Das ist richtig«, antwortete Hasan. »Und der Grund, aus dem ich dich noch einmal um deine Hilfe bitten muss, Andrej … auch wenn mir durchaus bewusst ist, welch großes Opfer ich damit von dir fordere.«
»Soll ich das Schiff von der Küste wegrudern?«
Der Alte vom Berge zwang sich ein leicht gequältes Lächeln auf sein faltiges Gesicht, griff unter den Mantel und förderte ein Fernglas aus poliertem Messing zutage, das er mit einem Ruck auseinanderzog und ihm reichte. Andrej setzte es an, richtete es auf die Küste aus und brauchte eine Weile, bis er die Stadt gefunden hatte, wobei er den hoch aufragenden Turm der Zitadelle als Bezugspunkt nahm. Nichts rührte sich dort. Halb hatte er erwartet, kämpfende Gestalten zu sehen, vielleicht auch Untote auf der Suche nach frischem Fleisch, doch hinter den brüchigen Zinnen regte sich nichts.
So wenig wie in der Stadt zu ihren Füßen. Über die große Entfernung und die Stadtmauer hinweg hätte er selbst mit dem starken Glas kaum etwas erkannt, doch etwas in ihm spürte, dass innerhalb der Altstadt nichts mehr lebte – vielleicht weil da etwas war, das nach Leben gierte …
Andrej schüttelte den Gedanken erschrocken ab.
»Ich habe einen Mann losgeschickt, der dafür sorgen sollte, dass die Stadttore über Nacht geschlossen bleiben, ganz egal was auch geschieht«, sagte Hasan. »Wie es aussieht, haben sie wohl auf ihn gehört.«
»Dafür sind die Kreaturen dort jetzt eingesperrt«, sagte Andrej. »Was glaubst du, wie lange die Mauern und Tore ihnen standhalten?«
»Sieh nach unten«, sagte Hasan, statt seine Frage zu beantworten. »Zum Strand. Dorthin, wo wir gestern Abend waren.«
Andrej gehorchte. Er war nicht überrascht zu sehen, dass es den Untoten gelungen war, ihre Spur aufzunehmen und ihnen bis zum Strand hinab zu
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