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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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folgen. Was ihn überraschte war ihre Anzahl. Der Strand war übersät mit reglosen Körpern, nicht nur Dutzende sondern Hunderte, die wie angespültes Treibholz auf dem nassen Sand lagen und im Wasser trieben und ihnen mit toten Gliedmaßen zuzuwinken schienen, immer wenn die Dünung sie ergriff. Er musste an das denken, was Abu Dun ihm in der zurückliegenden Nacht gezeigt hatte, aber noch weigerte er sich, sich einer verfrühten Hoffnung hinzugeben. Konnte es so einfach sein? Seine lange Erfahrung sagte Nein, aber seine Augen sagten ihm etwas anderes.
    »Sie … rühren sich nicht mehr«, sagte er zögernd.
    »Diese Kreaturen sind widernatürlich«, bestätigte Hasan. »Gott lässt nicht zu, dass sie seine Schöpfung noch länger besudeln!«
    Andrej schob das Glas zusammen und gab es dem Alten vom Berge zurück. »Gott?«
    »Der Teufel hat diese Kreaturen möglicherweise geschickt, aber er war es gewiss nicht, der diesen Fluch wieder von uns genommen hat.«
    »Das mag sein oder auch nicht, aber das habe ich nicht gemeint.« Vergeblich versuchte Andrej, Hasans Blick festzuhalten. »Du hast Gott gesagt.«
    »Nicht Allah, ich weiß.« Hasan nickte, und nun war es Andrej, dem es schwerfiel, seinem Blick standzuhalten. »Deine Reaktion ist mir aufgefallen, als ich Gott gesagt habe. Ich bin Christ, Andrej. Ein getaufter Christ …«
    »Christ?«, vergewisserte sich Andrej. »Aber du bist Hasan as Sabah, der Alte vom Berge!«
    »Und als solcher muss ich natürlich Moslem sein«, antwortete Hasan amüsiert. »Willst du das damit sagen?«
    »Ja«, antwortete Andrej geradeheraus.
    »Dann muss ich dich enttäuschen«, erwiderte Hasan. »Im Geschäft des Mordens und Intrigierens sind wir Christen mindestens so gut wie unsere muslimischen Brüder.« Er lachte, leise und hässlich. »Aber jetzt ist nicht der Moment für theologische Streitgespräche, Andrej. Wir haben eine lange Reise vor uns, und ich freue mich schon darauf, die Abende auf hoher See damit zu verbringen. Aber zum einen wollte ich dir das zeigen.« Er machte eine Kopfbewegung zur Küste hin. »Ich dachte, dass es dich vielleicht beruhigt.«
    Das tat es. »Und zum anderen?«
    Hasan seufzte und machte ein Gesicht, als müsste er ihm etwas Unangenehmes mitteilen. Er kam jedoch nicht dazu zu antworten, denn in diesem Moment ging ein spürbarer Ruck durch das Schiff. Hasan balancierte ihn ohne die geringste Mühe aus – vermutlich, ohne es überhaupt zu merken –, während Andrej die Hand nach der Reling ausstreckte, um sich daran festzuhalten.
    Er brauchte einen Moment, um seines Ärgers über sich selbst Herr zu werden, und einen zweiten, um den Grund für den unsanften Ruck zu erkennen. Der Winkel, in dem die Wellen gegen den Schiffsrumpf anrannten, hatte sich verändert.
    »Welcher Dummkopf steht da am Ruder?«, polterte er, machte den Dummkopf mit einem einzigen Blick ausfindig und holte Luft, um seinem Unmut noch einmal und in angemessener Lautstärke Ausdruck zu verleihen, warf dann aber stattdessen den Kopf in den Nacken, als ein Schatten auf sein Gesicht fiel und ein lautes, nasses Flopp ertönte.
    Beides stammte von einem stockfleckigen und vielfach geflickten Segel, das von der Rahe herabgefallen war – woraufhin eine heftige Windböe hineinfuhr, es blähte und das gesamte Schiff wie unter einem Hammerschlag erbebte und sich spürbar auf die Seite zu legen begann.
    »Bist du wahnsinnig geworden da oben?«, schrie Andrej. »Warum zündest du das Schiff nicht gleich an? Das geht schneller!«
    Über der Rahe war eine in fließendes Schwarz gehüllte Gestalt erschienen, die mit unbewegtem Gesicht auf Andrej herabsah. »Komm da runter, du Narr!«, rief er, »bevor ich dich vom Mast schüttele und eigenhändig im Meer ersäufe! Willst du uns alle umbringen?«
    Der Mann gehorchte, indem er mit schon fast übernatürlich anmutendem Geschick am Mast herabzuklettern begann – wenn auch erst, nachdem Hasan ihm einen Wink gegeben hatte. Auf halbem Wege nach unten erbebte das Schiff in einer weiteren Sturmbö, die den Assassinen jedoch nicht langsamer werden, Andrej und sogar Hasan aber an der Reling Halt suchen ließ. Kaum vor ihnen angekommen, wandte sich der Mann mit fragendem Blick an Hasan und wurde mit einer rüden Geste fortgeschickt, bevor Andrej ihm den Kopf waschen konnte.
    »Du darfst es ihnen nicht übel nehmen, Andrej«, sagte Hasan.
    »Was? Dass sie versuchen, uns umzubringen?«
    »Meine Männer tun ihr Bestes«, antwortete Hasan kopfschüttelnd.

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