Pestmond (German Edition)
»Aber es reicht nicht, fürchte ich.« Er seufzte tief. »Wir sind Mörder, keine Seeleute.«
»Ja, das merke ich gerade am eigenen Leibe«, raunzte Andrej.
»Ganz genau das ist auch das Problem, Andrej«, erwiderte Hasan, von einem Lidschlag auf den anderen wieder ernst. »Nicht nur Kapitän Vercelli hat uns … verlassen. Ich fürchte, dass das auch für seine gesamte Mannschaft gilt.«
»Aha!«, sagte Andrej.
»Wie es aussieht, haben wir zwar ein seetüchtiges Schiff und ausreichende Vorräte, aber keine Besatzung.« Hasan lächelte ihn an. »Aber immerhin haben wir ja einen Kapitän.«
»So?«, fragte Andrej. »Wenn du Abu Dun meinst …«
»Der nur noch vom Kat am Leben erhalten wird?« Hasan schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Selbstmörder, Andrej. Ich meine dich.«
»Mich …?«
»Die Männer sind gelehrig«, fuhr Hasan fort. »Du musst ihnen nur sagen, was zu tun ist, und sie bringen uns sicher nach Italien.«
»Wenn sie eine halbe Stunde Zeit finden …« Andrej schüttelte den Kopf. »Und ganz abgesehen davon: Ich mag zwar inzwischen einige Erfahrung im Steuern von Schiffen haben, aber das macht aus mir noch nicht den geborenen Seemann. Abu Dun dagegen …«
»Hat genug mit sich selbst zu tun«, unterbrach ihn Hasan. Sein Blick wanderte zu dem verschnörkelten Tisch in der Mitte der Kabine, auf dem unter einem Sextanten eine alte, abgegriffene Karte des Tyrrhenischen Meers lag. »Und immerhin hast du die Kapitänskajüte ja auch schon bezogen – und wie ich sehe, dich auch schon mit unserer Route vertraut gemacht.«
»So einfach ist das nicht«, beharrte Andrej. »Du hast es selbst gesagt: Ihr seid … keine Seeleute.«
»Dann bliebe uns nur noch der Landweg. Wir würden Wochen brauchen, vermutlich Monate. So viel Zeit bleibt uns nicht. Deshalb werden wir an Kreta vorbei direkten Kurs auf die Straße von Messina nehmen. Dann ist die Sache in ein paar Tagen ausgestanden.«
Andrej lag erneut eine spöttische Antwort auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter und sah sich stattdessen demonstrativ an Deck um. Der alte Seelenverkäufer wirkte im hellen Licht der Morgensonne fast noch kleiner und schäbiger als in der vergangenen Nacht. Nicht nur das Segel war verblasst und an zahllosen Stellen geflickt, das gesamte Schiff war hoffnungslos verdreckt und vernachlässigt und schien vor allem von der Hoffnung seiner Mannschaft und ihren Gebeten zusammengehalten zu werden. Andrej bezweifelte, dass der heruntergekommene Kahn die Überfahrt nach Italien schaffte. Das Mittelmeer war zu dieser Jahreszeit nicht einmal annähernd so friedlich, wie viele glaubten, die nur seine sandigen Strände und prachtvollen Sonnenuntergänge kannten.
Schiffe, dachte er. Er hasste Schiffe. Und es wurde Zeit, dass Hasan das auch begriff.
»Dann ruf deine Männer zusammen«, seufzte er.
Kapitel 17
A us der halben Stunde war mehr als ein halber Tag geworden, als Andrej versuchte, dem guten Dutzend Männern, das ihnen noch geblieben war, den Unterschied zwischen einem Wüstenschiff und einem, das sich auf dem Wasser bewegt, nahezubringen.
Hasan hatte nicht übertrieben, seine Assassinen zeigten sich tatsächlich gelehrig. Die Männer waren intelligent, bemüht und, ganz wie er es erwartet hatte, außergewöhnlich geschickt, sodass er kaum etwas wiederholen oder ihnen gar zweimal zeigen musste. Hätte er eine Woche oder auch nur drei Tage Zeit gehabt, hätte er sie zweifellos zu einer brauchbaren Mannschaft machen können, die vielleicht sogar besser – und mit Sicherheit reinlicher – gewesen wäre als die ursprüngliche Besatzung der unter arabischer Flagge segelnden italienischen Galeota. Nach nur wenigen Stunden und den Anstrengungen der zurückliegenden Nacht bestand seine größte Hoffnung allerdings darin, dass sich Hasan as Sabah als gläubiger Christ zu erkennen gegeben hatte und es somit wenigstens einen an Bord gab, der für sie beten würde. Unter anderen Umständen hätte er darauf bestanden, noch mindestens einen weiteren Tag hierzubleiben, um die Männer wenigstens die Grundlagen des Seemannshandwerks zu lehren, doch Hasan hatte darauf bestanden, dass ihre Zeit dafür nicht reichte, und auch Andrej verspürte das dringende Bedürfnis, möglichst schnell möglichst viele Meilen zwischen sich und diesen verfluchten Ort zu bringen. So kam es, dass die Pestmond, nicht lange nachdem die Sonne den Zenit erreicht hatte, gemächlich den Bug nach Norden drehte und die Mannschaft sich darin versuchte, zum
Weitere Kostenlose Bücher