Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
meinem Geschmack.« Als sie sich nach der Gewürzablage streckte, zuckte sie für einen Moment zusammen. »Sind Sie verletzt?«
»Es ist nichts weiter.« Sie ließ die Schulter kreisen. »Ondrej leitet ein Dojo, nicht weit von hier. Am Wochenende ist es geschlossen, aber jeden Sonntagnachmittag trainiert er mich dort. Heute stand seine Lieblingseinheit auf dem Programm: Haltegriffe und Wurftechniken. Vermutlich bin ich zu hart auf die Matte geschlagen. Das Abrollen war schon immer meine Schwäche.«
Während Ivona einiges über Judo und ihren Bruder erzählte und gleichmäßig im Topf rührte, betrachtete Hogart sie wortlos. Diese Frau überraschte ihn immer mehr. War sie in Grecos Villa noch die elegante Dame gewesen, stand sie nun in Trainingshosen vor ihm, kochte Spaghetti, besaß eine Walther PPK und trainierte Kampfsport. Nun wurde ihm auch klar, warum er sich von ihrem Bruder fernhalten sollte. Mit zwölf Jahren Praxis und dem zweiten Dan in Judo konnte Ondrej seine Gegner mit einem simplen Handgriff bewegungsunfähig machen.
Etwas später trugen sie den Cognac und die mit Spaghetti gefüllten Teller ins Wohnzimmer. Ivona musste zuerst Zeitschriften, Pullover und leere Getränkepackungen vom Tisch abräumen. Sie stapelte alles auf den vollen Wäschekorb neben dem Schwedenofen. Zwischen Dutzenden Kopfkissen, Mappen und Aktenordnern fand Hogart einen freien Platz auf der Couch. Viele Dinge lagen um ihn herum, die überhaupt nicht in ein Wohnzimmer passten. Doch seit Evas Auszug sah es in seiner eigenen Wohnung auch nicht besser aus, sodass ihn nichts mehr schockierte. Außerdem kam er in seinem Job weit herum, bisweilen in Häuser, deren Bewohner einen ziemlich offensichtlichen Saustall präsentierten, da sie seit Wochen wegen eines vorgetäuschten Schleudertraumas mit einer Halskrause im Bett lagen, um die Versicherung abzuzocken.
Während im Radio ein Violinkonzert lief, unterbrochen von tschechischsprachigen Kommentaren, aßen sie beim Licht einer Stehlampe und dem Feuerschein des Ofens.
»Ihr ehemaliger Chef war Wiener?«, fragte Hogart.
»Wir haben uns in Prag kennengelernt. Ich arbeitete damals in meinem alten Job, und er brauchte Auskünfte über bestimmte Kunden.«
»Klingt gefährlich.«
»Überhaupt nicht.« Sie lächelte. »Erich handelte mit Landwirtschaftsmaschinen, von Motorsensen bis Traktoren. Er besaß eine Niederlassung in Wien und eine zweite östlich von Prag, von wo er hauptsächlich nach Ostdeutschland, Polen und in die Slowakei reiste, um seine Aufträge abzuwickeln. Meine damalige Arbeit lief nicht besonders gut, er brauchte eine Dolmetscherin, also engagierte er mich. Zunächst übersetzte ich Bedienungsanleitungen für Rasenmäher - fürchterlich langweilig -, später schrieb ich die Verträge, wickelte die Lieferungen ab, übernahm den Einkauf und war schließlich Mädchen für alles. So reiste ich viel herum und kam auch nach Osterreich. Es war immer schön, den Frühling in Wien zu verbringen. Die vielen Parks, Museen und Denkmäler. Doch plötzlich lief der Betrieb nicht mehr so wie früher. Einige Großkunden meldeten Konkurs an und rissen Erich mit. Er nahm sich mit einer Schrotflinte das Leben.« Sie stockte. »Danach kehrte ich wieder zu meinem alten Job zurück.«
Hogarts Kehle wurde trocken. »Das tut mir leid.«
»Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen. Es ist okay.«
»Markovic ist ein kroatischer Name, nicht wahr?«, fragte er.
»Stimmt. Mein, unser … Vater stammte aus Istrien, Porec, aber unsere Mutter ist Tschechin - eine romantische Urlaubsliebe.« Ivona versuchte zu lächeln, doch Hogart merkte, dass etwas nicht stimmte. Bei der Erwähnung ihres Vaters bekam sie einen Gesichtsausdruck, in dem so viel Verbitterung lag, dass es wohl besser war, nicht weiter darüber zu reden.
»Vielleicht erklärt das auch, weshalb Ondrej und ich die Nähe des Wassers so sehr lieben.« Sie pickte sich zwei besonders lange Spaghetti mit den Fingern von dem Teller. Ihre Hand zitterte. »Dort stehen übrigens einige Fotos von Erich und Ondrej. Sie haben einander nie sehr gemocht, vermutlich weil sie in verschiedenen Welten lebten.«
Was immer mit ihrem Vater geschehen war, Hogart wusste, dass sie vom Thema ablenkte. Die Sache ging ihn ohnehin nichts an. Auf der mit Bilderrahmen zugepflasterten Kommode sah er eine Aufnahme von Ivona und ihrem Chef vor einem überdimensionalen Mähdrescher. Erich überragte sie um einen Kopf, war schlaksig, hatte eine große Nase, eine
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