Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
verband sie trocken, wie er es von einer älteren Verletzung her kannte. Anschließend ließ er die Schulter kreisen und bewegte vorsichtig Handgelenk und Finger, damit der Arm stärker durchblutet wurde. Ab sofort würde er auf die Schlinge verzichten.
Als Ivona eine Stunde später in der Kombüse den Gasofen anstellte und eine Kanne starken Kaffees kochte, ging Hogart an Land, um im Krämerladen neben dem Schwarzen Krebs auf Spesenkosten Milch und frisches Gebäck zu kaufen.
Jiris Kombüse bot nicht unbedingt den Standard eines Familienapartments, geschweige denn den eines luxuriösen Hausbootes. Manche Bereiche des Kahns sahen wie die Requisitenkammer eines Theaters aus. Das Verfalldatum der meisten in der Küche aufbewahrten Gewürze war längst überschritten und die handbetriebene Brotschneidemaschine funktionierte ebenso wenig wie der Geschirrspüler oder der Kühlschrank - daher lagerten fast alle Lebensmittel in einer Kiste an Deck -, doch Ivona und er kamen zurecht. Die gemeinsame Zubereitung des Frühstücks erinnerte Hogart an jene Zeit, in der er als Selbstverpfleger in einer Jugendherberge in der Nähe des Hradschin gehaust hatte. Nach dem Essen übernahm er den Abwasch, während Ivona einige Telefonate wegen ihres Brandschadens führte. Der zuständige Sachbearbeiter erklärte ihr, dass die Police nahezu den kompletten Schaden abdecke, sie sich aber morgen Vormittag mit ihm treffen müsse, um die Vermögensaufstellung und den restlichen Papierkram zu besprechen. Das Finanzielle werde geklärt, sobald ein Schätzgutachten über den Zeitwert vorliege. Wenn die Staatanwaltschaft die Akte freigab, wollte der Sachbearbeiter sich eine Kopie der Polizeimeldung mit den Kripofotos beschaffen. Der Spielball ging ständig zwischen Versicherung, Schätzmeister, Kripo und Staatsanwalt hin und her, einer schob die Entscheidung auf den anderen.
Hogart hörte, wie Ivona ihr letztes Telefonat beendete. Durch den Türspalt ihrer Kabine sah er sie völlig erschöpft auf der Koje sitzen. Er selbst sortierte jene Unterlagen, die den Brand halbwegs überstanden hatten, wodurch er die Kombüse in ein Ermittlungsbüro verwandelte. Der große Prag-Stadtplan aus seinem Auto war in voller Größe mit Klebestreifen über dem Bullauge befestigt. Einen großformatigen Notizblock hatte Hogart in eine Art Flipchart verwandelt und die übrig gebliebenen Fotos mittels Wäscheklammern an eine Leine gehängt, die er zuvor quer über die Arbeitsfläche der Küchenzeile gespannt hatte.
Ivona trat in die Kombüse. »Sie legen sich ja mächtig ins Zeug.«
»Es sieht beinahe aus wie bei Ihnen zu Hause.«
Sie schmunzelte, danach wurde sie wieder ernst. Offensichtlich gingen ihr wegen des Brandes Tausende Gedanken durch den Kopf. Hogart hielt es sogar für möglich, dass sie die Tatsache, ein Haus verloren zu haben, erst jetzt, da der gesamte Bürokram auf sie zukam, vollständig realisierte.
»Wir können auch später über den Fall reden«, schlug er vor.
»Nein, es ist in Ordnung, ich kann jetzt ohnehin nichts anderes tun.« Ivona setzte sich im Schneidersitz auf die Eckbank. Sie trug Leggins, dicke Wollsocken und einen von Ondrejs Pullovern, der ihr viel zu groß war. Die Hände in den Ärmeln versteckt, hielt sie die Kaffeetasse umklammert und fing an, über die Morde zu berichten.
Es hatte am Nachmittag des 30. Januars begonnen. Hana Zajicova, eine attraktive Dame Anfang fünfzig, wurde das letzte Mal auf dem Heimweg in der Fußgängerzone vor dem Altstädter Rathaus gesehen. Doch sie kam nie in ihrer Villa an. Ihr Mann, Dr. Jaroslav Zajic, der Sozialreferent der deutschen Botschaft in Prag, schaltete noch am selben Abend die Kripo ein, die sogleich eine Fahndung einleitete. Zunächst vermutete man eine Entführung, doch niemand nahm Kontakt mit der Botschaft auf. Hana Zajicova blieb spurlos verschwunden. Zwei Tage später, in den Morgenstunden des ersten Februars, wurde in der Dvorakovo - eine Straße, die entlang der Moldau verläuft und die Manesuv- mit der Cechuvbrücke verbindet - eine Frauenleiche entdeckt. Die Tote, der Kopf und Hände fehlten, lag in der Nähe des Ufers, eingewickelt in ein schwarzes Samttuch. Dr. Zajic identifizierte sie als seine Frau. Wie sich herausstellte, war dies der Auftakt einer Mordserie, die bisher nicht abriss. Regelmäßig an jedem Monatsersten tauchte in Prag eine weitere Leiche auf. Nummer zwei war ein ehemaliger Fabrikarbeiter - ohne Angehörige, seit acht Jahren im Ruhestand -, dessen
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