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Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Titel: Peter Hogart 1 - Schwarze Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Rollkragenpullover aus, da das miese Wetter keine Anstalten machte, sich zu bessern, und ihm von Tag zu Tag mehr zusetzte.
    In seiner Bootskajüte zog er sich um und führte zwischendurch ein kurzes Telefonat mit Kohlschmied, um ihn über die Fortschritte auf dem Laufenden zu halten. Anschließend überquerte er an der Karlsbrücke den Fluss, ging durch die Altstadt am Hotel Ventana vorbei, wo er vor wenigen Tagen noch gewohnt hatte, bis er ins ehemalige jüdische Ghetto gelangte. In diesem verwinkelten Stadtteil mit seinen engen Gassen und grauen Häuserfassaden reihten sich Dutzende Boutiquen, Schmuckgeschäfte und Ramschläden aneinander. Doch bei dem Nieselregen blieben die Kunden aus.
    Hogart betrat einige Antiquariate, in denen er der einzige Besucher war, stöberte in Wühlkisten voller Tagebücher, Schallplatten, alter Postkarten und staubiger Bildbände, fand aber nichts, was ihn reizte. Für eine einzige signierte Single aus den 50er Jahren hätte sich die Reise nach Prag bereits gelohnt, aber der angebotene Trödel war völlig uninteressant - zumindest für ihn. Entweder waren die Dinge zu alt oder zu neu.
    Als plötzlich Regen einsetzte, fand Hogart unter dem Baldachin einer Buchhandlung Unterschlupf. Schlagartig war die Straße wie leer gefegt. Nur ein Junge auf einem klapprigen Waffenrad holperte über die Pflastersteine, mit schepperndem Schutzblech - und einhändig. Mit der anderen Hand hielt er sich eine Zeitung über den Kopf. Hogart sah ihm nach, dann betrat er den Laden, in dem es nach Pfeifentabak und alten Büchern roch. Er kaufte einen deutschsprachigen Leitfaden für Schachanfänger, den er kurz darauf in einem Kaffeehaus zu lesen begann. Schon bald ließ der Nieselregen nach, doch der Wind fegte noch immer durch die Gassen.
    Mittags traf er sich mit Ivona vor dem jüdischen Friedhof. An ihrem Gesichtsausdruck sah er, dass die Unterredung mit dem Versicherungsfritzen unerfreulich verlaufen war. Nicht nur zehrte der gesamte Versicherungsfall an ihr, wie sie zugab, sondern der ihr zugewiesene Sachverständige, ein pedantischer Idiot, stellte jeden einzelnen Posten ihrer Vermögensaufstellung infrage und versuchte den Zeitwert zu verringern. Selbst die Akontozahlung der Versicherung war so minimal, dass sie sich nur ein paar Kleider und Kosmetikartikel kaufen konnte.
    »Natürlich habe ich mich mordsmäßig aufgeregt und gedroht, den Fall in die Presse zu bringen«, erzählte sie. »Und siehe da … plötzlich wurde Mietentschädigung auf ein halbes Jahr zugesagt, da ich woanders unterkommen muss, bis ich eine neue Wohnung finde. Dass ich vorerst auf Jiris Boot lebe, braucht die Versicherung ja nicht zu wissen. Was lesen Sie da eigentlich?«
    Hogart zeigte ihr den Bucheinband.
    »Schach für Anfänger’?« Ivona schüttelte den Kopf. »Wozu? Vergessen Sie das, wir treffen uns gleich mit einer der größten Schachlegenden der Nation!«
    Während sie auf das Kassenhäuschen neben dem schmiedeeisernen Friedhofstor zugingen, erzählte Ivona weiter. »Vesely ist ein Exzentriker. Er gab sein internationales Schach-Debüt Ende der 50er, als er im Alter von dreiundzwanzig Jahren beim Prager Turnier Ludek Pachman besiegte. Später gewann er mehrmals die Landesmeisterschaft der Tschechoslowakei. Mitte der 70er wurde er Großmeister und brachte es gegen Bobby Fischer auf zwei Siege, zwei Niederlagen und vier Unentschieden.«
    »Das haben Sie sich gemerkt?«
    »Das ist keine Kunst.« Ivona verdrehte die Augen. »Er erzählt fast jedes Mal davon, wenn wir uns treffen.«
    Hinter der Kasse saß ein junger Mann mit schiefem Hals und verwachsener Schulter. Er wollte bereits zwei Eintrittskarten von der Rolle ziehen, doch Ivona sprach kurz mit ihm, worauf sie ohne zu bezahlen hineingehen durften. Hogart schob dem Mann dennoch einen Geldschein durch den Schlitz.
    »Warum tun Sie das andauernd?«, flüsterte Ivona.
    »Andauernd? Außerdem war es kaum mehr als ein Trinkgeld!«
    »Tausend Kronen nennen Sie ein Trinkgeld?« Ivona zog das Gitter auf.
    Zunächst mussten sie den Torbogen einer Synagoge durchqueren. In einer Mauernische erhob sich die Statue des Rabbi Low, die wie ein dunkler Schatten über all jenen aufragte, die den Friedhof betraten. Der Anblick des sagenhaften Golemschöpfers bescherte Hogart einen Schauder. Soviel er über jüdische Mystik wusste, hatte der in die Geheimnisse der Kabbala eingeweihte Philosoph vor vielen hundert Jahren einen künstlichen Menschen aus Lehm erschaffen, den Homunkulus,

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