Peter Nimble und seine magischen Augen
standen sie oben auf dem Hügel. »Grundgütiger«, sagte Sir Tode. »Erinnere mich daran, dass ich nie wieder an deiner Nase zweifle.«
Der Junge grinste. »Ich dachte mir schon, dass Sie so etwas sagen würden.« Jetzt konnte er auch ein leises Plätschern hören. »Es scheint eine Art Quelle zu sein. Glauben Sie, dass da Fische drin sind?«
Sir Tode stieß ein amüsiertes Lachen aus. »Gekochte vielleicht. Da drüben ist ein riesiger Felsen, und er sieht aus wieein … Wasserkessel .« Er starrte auf das bizarre Gebilde und fragte sich, ob es vielleicht nur eine Fata Morgana war. »Mit Griff und Tülle.«
Doch den Felsen gab es wirklich. Er war ungefähr so groß wie ein Haus, innen hohl und mit Wasser gefüllt. »Unter uns kann ich eine Strömung spüren«, sagte Peter, als sie näher kamen. »Sie scheint von unten hochzufließen, wie eine Quelle.« Ohne allzu große Mühe gelang es den beiden, am Henkel hinaufzuklettern. Fische schien es nicht zu geben, aber zumindest war das Wasser trinkbar. »Was glauben Sie, wer den Felsen geschaffen hat?«, fragte Peter, während er seine blasenbesetzten Füße kühlte.
»Jemand, der sehr stark ist … oder zumindest sehr entschlossen.« Sir Tode musterte die Meißelspuren an der Oberfläche. Von hier oben konnte er fast die gesamte Bußwüste überblicken, und er nutzte die Gelegenheit und sah sich gründlich um. »Ich glaube, da hinten kann ich die Grenze sehen. Am Horizont ist eine lange schwarze Linie, die sich nach beiden Seiten ausdehnt – vielleicht eine Mauer oder ein Zaun? Und genau in der Mitte ragt ein hoher Turm in die Luft.«
»Das muss das Gefängnistor sein. Glauben Sie, wir schaffen es bis zum Einbruch der Dunkelheit bis dorthin?«
»Vielleicht.« Sir Tode kniff die Augen zusammen. »Das lässt sich von hier aus schwer sagen.«
»Nun, zumindest wissen wir, dass wir in die richtige Richtung gehen. Aber bevor wir wieder aufbrechen, machen wir erst mal eine kleine Pause.« Obwohl der Weinschlauch des Professors sie durchaus vor dem Verdursten bewahrte, war er nicht gerade ideal. Die Wanderung durch die Wüste hatte sie beide unglaublich staubig gemacht, und ihre Haut war ganz trocken und rissig. Davon abgesehenhatten sie beide seit ihrer Begegnung im Sorgensee nicht mehr gebadet, und obwohl Jungen es in der Regel hassen, sich zu waschen oder gar zu baden, war Peter Nimble bereit, diesmal eine Ausnahme zu machen.
Das kühle Wasser belebte die beiden Reisenden augenblicklich. Nach einigem Ausprobieren kamen sie auf die Idee, die Tülle als Duschbrause zu verwenden: Wenn einer von ihnen in den Kessel sprang, stieg der Wasserspiegel an, und aus der Tülle ergoss sich ein erfrischender Schwall.
Darüber hinaus bot der Kessel Peter und Sir Tode die perfekte Gelegenheit, ihre Schwimmkünste zu verbessern. Wegen der gewölbten Wände des Felsens konnten sie sich immer wieder festhalten, während sie das Atmen, Paddeln und Tauchen übten. Nach einer Stunde waren sie beide in der Lage, sich einigermaßen über Wasser zu halten.
Als die beiden Gefährten gründlich sauber waren, streckten sie sich auf dem Rand des Felsens aus und ließen sich von der Wüstensonne trocknen. »Was meinst du, was auf der anderen Seite dieser Mauer liegt?«, fragte Sir Tode.
Peter zuckte die Achseln. »Ich hoffe, das Verschwundene Königreich. Aber was immer wir dort auch finden, ich bin sicher, es wird uns zumindest ein paar von unseren –«
Sir Tode wandte sich um und sah seinen Freund an. »Ein paar von unseren was?«, fragte er.
Doch der Junge war verstummt. Denn in dem Moment glitt ein riesiger Schatten über seinen Körper und verdunkelte die Sonne. Peter lauschte starr vor Angst, während das Geräusch über ihnen immer lauter wurde.
Es war das Rascheln von Flügeln.
Und es kam direkt auf sie zu.
11. Kapitel
♦
DIE RABEN VOM
KESSELFELSEN
P eter lag vollkommen reglos da, während der mächtige Schwarm über sie hinwegflog.
»Wie viele sind es?«, fragte er Sir Tode flüsternd.
Der Ritter starrte auf den Sturm aus schwarzen Flügeln, der über den Himmel toste. »Tausende«, sagte er und schluckte mühsam. »V-V-Vielleicht fliegen sie ja vorbei, ohne uns zu sehen?«
»Bleiben Sie auf jeden Fall ruhig.« Der Junge wusste, dass sein Freund leicht in Panik geriet. Doch in Wirklichkeit hatte er genauso viel Angst wie Sir Tode. Er konnte beinahe spüren, wie ihre Augen den Sand absuchten, während die Vögel in einem Kreis um den Felsen flogen. Dann hörte er das
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