Peter Nimble und seine magischen Augen
jemand in der Nähe war. »Wer sind Sie?«, fragte er.
Ein leises Lachen ertönte. »Oho, Sir! Ich denke, die passendere Frage wäre doch wohl: Wer sind Sie ?« So wie die Frau sprach, schien sie ihm nichts Böses zu wollen. Aber woher kam sie? Und wieso nannte sie ihn »Sir«?
»Ich?«, sagte er stotternd. »Ich heiße … Justice. Äh, Justice Trousers.« (Ihr dürft nicht vergessen, dass Peter, der ohnehin kein guter Lügner war, eine ziemlich üble Kopfverletzung hatte, was vielleicht entschuldigt, dass ihm nichts Gescheiteres eingefallen ist.)
»Justice?« Die Frau überlegte einen Moment. »Ich glaube, den Namen habe ich noch nie gehört. Was bedeutet er?«
»Nichts. Es ist nur ein Name«, log Peter erneut. In Wirklichkeit wusste er, dass Justice Gerechtigkeit bedeutete, und das war das letzte Wort, an das er sich erinnerte, bevor er aus dem Nest der Raben geflohen war.
»Nun, sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Mr Trousers! Ich heiße Mrs Melasse. Das ist ein altes Wort und bedeutetGlück und Güte.« Peter wusste sehr wohl, dass »Melasse« keineswegs diese Bedeutung hatte, sondern ein süßes klebriges Zeug war, das in Stundengläsern und Süßigkeiten verwendet wurde, aber er fand es unhöflich, ihr zu widersprechen. Die Frau fuhr fort: »Sie sind in meinem Zuhause überaus willkommen, Sir, aber ich bestehe darauf, dass Sie sich wieder hinlegen. Sonst bluten Sie mir noch meinen ganzen frisch geputzten Fußboden voll.« Damit packte sie ihn bei den Schultern und drückte ihn wieder auf das Kissen. »Sie haben mir einen schönen Schreck eingejagt«, sagte sie ein wenig atemlos. »Und es grenzt an ein Wunder, dass ich all das eklige Blut noch rechtzeitig weggekriegt habe, bevor es Flecken gab!«
Peter betastete den Haufen Lumpen, der kreuz und quer um seinen Kopf gewickelt war, und stimmte ihr innerlich zu. Während Mrs Melasse ihn wieder ins Bett packte, versuchte er, mit seinen Sinnen möglichst viel über seine Gastgeberin herauszubekommen. Der Klang ihrer Stimme verriet ihm, dass Mrs Melasse eine Erwachsene war. Sie roch nach demselben süßlichen Parfüm wie der Rest des Raumes. Ihre Hände waren weich und fleischig, und sie geriet ein wenig ins Keuchen, als sie seine Decke zurechtzog. All das ließ darauf schließen, dass Mrs Melasse zu der Sorte Frauen gehörte, die für gewöhnlich als mollig bezeichnet wurden.
»Was war das, was sie gesagt haben, als ich hereinkam?«, fragte sie, während sie ein Kissen aufschlug. »Es klang so hübsch und so eigentümlich .«
»Was ich gesagt habe?« Der Schmerz in seinem Kopf war jetzt ein dumpfes Pochen, und mit jeder Minute, die verging, fiel ihm das Denken schwerer. »Nur ein … Kinderreim«, antwortete er gähnend.
»Kinder?« Sie überlegte. »Ich glaube, das Wort kenne ich nicht, aber Reime mag ich sehr. Am besten ruhen Sie sich jetzt erst mal aus, und dann können wir morgen früh zusammen kinderreimen , was meinen Sie?« Mrs Melasse strich noch ein letztes Mal über seine Decke, dann ließ sie Peter schlafen, was er auch fast augenblicklich tat.
Als Peter das nächste Mal aufwachte, überkam ihn Panik. »Die Augen!«, rief er aus und fuhr hoch. Er war von oben bis unten schweißgebadet, und seine Arme waren leer. Das letzte Mal, als er wach gewesen war, hatte er die Kiste fest an seine Brust gedrückt. Er erinnerte sich dunkel an eine fremde Frau, die hereingekommen war und ihn zugedeckt hatte (etwas, das noch nie jemand für ihn getan hatte). Und jetzt war die Kiste verschwunden. Es war alles nur ein Trick gewesen, und er war darauf hereingefallen. Hastig sprang Peter aus dem Bett und durchsuchte das Zimmer. Er wühlte in leeren Kommoden und tastete den blitzblank geputzten Boden ab, aber nirgends war eine Spur von den Augen zu finden. »Wie konnte ich nur so dumm sein?«, schimpfte er und knallte eine Schublade zu. »Die Frau hat sich bestimmt längst aus dem Staub gemacht.«
»Juhu!«, rief eine muntere Stimme direkt hinter ihm. Peter zuckte vor Schreck zusammen und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Das war schon das zweite Mal, dass diese komische Frau sich unbemerkt an ihn herangeschlichen hatte. Er vermutete, dass es an dem grässlichen Parfüm lag, das überall herumwaberte und wie eine Art Tarnung wirkte. Außerdem hatte sie einen erstaunlich leisen Schritt. »Ich war nur schnell in meiner Putzkammer«, sagte sie und gab Peter die Kiste, die sie unter dem Arm getragen hatte. »Sie war so schmutzig, da dachte ich mir, ich gehe
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