Peter Voss der Millionendieb
steigender Verwunderung, was auf dem roten Zettel stand: »Der Flüchtling trägt keinen Bart, hat sich die Haare grau färben lassen und ist mit einem hellen Staubmantel bekleidet.«
›Jetzt wird's brenzlig!‹ dachte Peter Voss und sprang ins nächste Taxi und ließ sich den Broadway hinunterfahren.
Zunächst entledigte er sich seines Staubmantels, den er zusammengerollt neben sich legte. Bei dem nächsten großen Eckrestaurant ließ er halten und verschwand darin, um zwei Minuten später aus der anderen Tür mit einer blauen Mütze wieder zu erscheinen. Der Taxichauffeur wartete vergeblich auf Peter Voss. Immerhin hatte er den Mantel, mit dem er das verlorene Fahrgeld wieder 'reinholen konnte.
Bald darauf tauchte Peter Voss in das Gewühl der Bowery, kaufte bei einem Friseur eine Flasche braune Haarfarbe und ließ sich in einem kleinen Hotel ein Zimmer geben. Das Geld dafür mußte er im Voraus bezahlen, da er außer Zahnbürste, Taschenmesser und Brieftasche kein Gepäck besaß. Hier wollte er seinem Haar wieder die alte Farbe verleihen, es gelang ihm aber daneben. Nachdem er eine Viertelstunde geschmiert und gerieben hatte, leuchtete ihm sein Scheitel im brennendsten Rot aus dem Spiegel entgegen.
›Auch gut!‹ dachte er und verließ das Hotel.
Seine roten Haare, so kurz sie auch waren, erregten Aufsehen, und er freute sich diebisch darüber. Jetzt konnte er über den roten Zettel, der auf dem gelben Steckbrief klebte, lachen.
Er setzte über den Hudson und schlenderte gemächlich, wie ein stellungsloser Seemann, die Docks von Hoboken entlang. Bei jedem Eingang standen Doppelposten der Polizei. Beim Dock der Hamburg-Amerika-Linie blieb er stehen und las die Schiffsliste. Morgen früh ging die Pennsylvania in See. Da lag der große, breite, sichere Kasten, auf dem er schon einmal eine Reise als Matrose gemacht hatte.
›Das wäre schon was!‹ dachte er, wobei sein Blick wie von ungefähr auf ein gelbes Plakat fiel.
Auch hier klebte sein Steckbrief mit dem alten Signalement. Es dauerte aber gar nicht lange, da kam ein Polizist und klebte den roten Zettel darüber.
Die beiden Polizisten, die den Eingang bewachten, machten sich sofort an das Studium der neuen Angaben, ohne darüber den Eingang aus dem Auge zu lassen. Wer hineinwollte, wurde angehalten und mußte ohne Gnade zurück, wenn er sich nicht ausweisen konnte.
Über Peter Voss, der ihnen gegenüber Aufstellung genommen hatte und so tat, als wenn er auf einen Bekannten wartete, machten sie zwischendurch Witze. Die Röte seiner Haare war auch direkt polizeiwidrig.
Peter Voss schwankte schon, ob er sich diese angeregte Stimmung der beiden Polizisten zunutze machen sollte, um durchzuschlüpfen.
Da hielt plötzlich vor dem Eingang ein kleiner Lastwagen, auf dem ein ungewöhnlich langer Koffer lag. ›Passagierstück für die Pennsylvania nach London Metropol-Variete‹ stand auf dem Ticket. Noch größer waren die Buchstaben:
VORSICHT! GLAS! NICHT STÜRZEN!
die auf allen vier Seiten und auf dem Deckel der Kiste prangten.
›Wenn ich nur in dieser Kiste läge!‹ dachte Peter Voss und betrachtete sie liebevoll von allen Seiten.
Der Fahrer, der die Kiste gebracht hatte, blieb ruhig am Steuer sitzen. Da sprang ein Mann über den Fahrdamm, wollte in das Dock hinein und fühlte sich plötzlich von vier nervigen Fäusten gepackt. Denn dieser Mann trug nicht nur einen gelben Staubmantel, sondern auch eine gelbe Staubmütze und hatte zum Überfluss etwas angegrautes Haar. Er sah aus wie ein Schauspieler auf Reisen.
Er schimpfte wie ein Rohrspatz, gab an, Frank Murrel zu heißen, und wollte als Jongleur und Zauberkünstler zum Metropol-Varieté in London engagiert sein.
Sein Gesicht wies mit Peter Vossens Fotografie einige Ähnlichkeit auf, besonders in der Stirn- und Augenpartie. Die Schutzleute waren ganz fest überzeugt, in ihm den Millionendieb gefaßt zu haben. Zum Unglück hatte der Mann kein Billett. Er behauptete frech, es läge noch auf der Agentur.
Er mußte mit zur Wache.
»Ich komme sofort wieder!« sagte er zu dem Fahrer des Lastwagens. »Geben Sie ja gut auf den Koffer acht! Es sind sehr zerbrechliche Theaterrequisiten darin.«
Der eine Polizist führte ihn ab, der andere verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Bald darauf schlug die Uhr sechs, und die Dockarbeiter strömten ein und aus. Peter Voss hätte es jetzt wohl wagen können, unbemerkt bei dem Polizisten vorbeizuschlüpfen. Doch was hätte das geholfen? Ohne Fahrkarte hätte man ihn
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