Peter Voss der Millionendieb
kaufen.«
»Nein, nein«, rief der alte Herr entsetzt. »Dann würde es morgen auch jeder wissen. Du verstehst, in meiner Stellung muß ich alles vermeiden. Und mit einer neuen Jacke ist es auch nicht getan. Du siehst mächtig heruntergekommen aus. Ich gebe dir heute Abend etwas Geld, und du fährst nach Bamberg, um dich neu einzukleiden. Darm kommst du als anständiger Mann zurück und machst mir einen offiziellen Besuch. Du kannst natürlich bleiben, solange du willst.«
Damit ging der Oberlandgerichtsrat eilig davon. Und Peter Voss vertrieb sich die Zeit. Er spazierte zu der Wiese am Waldrand, wo er seine Drachen hatte steigen lassen. Auch heute standen wohl ein Dutzend dieser leichten Papiervögel hoch und niedrig in der Luft und ließen im frischen Winde ihre Schwänze zappeln.
›Wenn ich die Haushälterin und ein Stück Tau mitgenommen hätte‹, dachte er, ›würde ich sie sofort steigen lassen.‹
Darauf kehrte er wieder in die Stadt zurück. Der Oberlandgerichtsrat öffnete ihm selbst die Tür und zog ihn sofort in sein Zimmer. Da stand ein gedeckter Tisch mit einer Flasche Rotwein in der Mitte. Das Licht brannte, die Fenster waren verhängt.
»Schweinebraten ist auch da!« rief Peter Voss vergnügt und setzte sich aufs Sofa vor das einzige Besteck, das aufgelegt war: »Prost, Adoptivpapa!«
Der Oberlandgerichtsrat stand noch immer. Er hatte weder ein Besteck noch ein Glas. Peter Voss sprang auf, entschuldigte sich, lief zum Büfett, stellte alles auf den Tisch und schoß endlich zur Tür hinaus. Mit einem halben Schinken und drei Flaschen Rotwein erschien er wieder.
»Mir scheint«, sagte schließlich der noch immer verwirrte alte Herr, indem er die Augenbrauen runzelte, »du hast zu diesem Übermut eigentlich recht wenig Grund. Du befindest dich offenbar in sehr derangierten Verhältnissen.«
»Wieso?« lachte Peter Voss. »Ich möchte nicht mit dir tauschen. Wie du mich hier sitzen siehst, bin ich wohlbestallter Kassierer des Bankhauses Stockes & Yarker in St. Louis. Ich beziehe an Gehalt ungefähr das Doppelte an Dollar, was ein deutscher Oberlandgerichtsrat in Mark verdient. Ich habe sogar begründete Hoffnung, in spätestens zwei Jahren Mitinhaber dieser hervorragenden Firma zu werden. Was sagst du nun dazu? Das hast du mir sicher nicht zugetraut!«
»Verhält sich das wirklich so?« fragte der alte Herr ungläubig.
»Glaubst du, ich bin hier herübergekommen, um dir einen Bären aufzubinden?« rief Peter Voss und hieb in den Schweinebraten ein.
»Wenn du auch sonst allerhand dumme Streiche gemacht hast, angelogen hast du mich eigentlich nie.«
»Na also«, sagte Peter Voss und hob wieder das Glas. »Das Lügen hab ich erst viel später gelernt. Da wollen wir also Frieden schließen. Ich habe mich sogar vor kurzem verheiratet.«
»Aber in einem solchen Anzüge zu reisen«, bemerkte der Oberlandgerichtsrat kopfschüttelnd.
»Bequemlichkeit«, meinte Peter Voss und holte seine Zahnbürste heraus. »Dies ist mein einziges Gepäck. Ideal, was?«
»Das verstehe ich alles nicht«, sagte der Beamte und lenkte das Gespräch auf die Erlebnisse seines ausgerissenen Adoptivsohns.
Und Peter Voss erzählte alles genau hintereinander, nur die Schmuggelei in China, die Meuterei und den Ausbruch aus dem Gefängnis in Iquique unterschlug er. Wozu den alten Herrn aufregen? Für das, was er weglassen mußte, hatte er immer noch genügend Ersatz. Als er endlich fertig war, schenkte sich sein Adoptivvater ein neues Glas Rotwein ein, hielt es nachdenklich gegen die Lampe und trank es mit einem Zuge aus.
»Du bist bei alledem doch ein Glückspilz gewesen«, sagte er dann befriedigt. »Ich kann dir gestehen, daß mich das aufrichtig freut. Ich hatte schon befürchtet, du würdest im Unglück verkommen, denn du hast schon damals, als du zu mir kamst, einen bösen Feind in dir gehabt, das war deine Phantasie. Alle deine Streiche …«
Als sie mit dem Essen fertig waren, griff Peter Voss zum Zigarrenschränkchen. Da stand wirklich noch die ihm wohlbekannte Kiste mit den schwarzen, schweren Brasilzigarren.
»Rauchst du noch immer das Kraut?« fragte Peter Voss verwundert, steckte sich eine zwischen die Zähne und ein halbes Dutzend in die Tasche und präsentierte den Rest.
Dann tranken und rauchten sie um die Wette, und der Oberlandgerichtsrat taute sichtlich auf.
Plötzlich schaute er nach der Uhr.
»Du musst fort«, rief er ängstlich, »in einer Viertelstunde ist das Kino aus.«
»Fällt mir nicht im
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