Pfad der Schatten reiter4
»Aber wenn Mirwell oder sonst jemand beschließt, öffentlich Anklage zu erheben, könnte das sehr peinlich werden. Ich habe die Mannschaftsliste vernichtet, aber es würde auch ohne Beweis einen schlechten Eindruck machen.«
»Ich verstehe.« Er schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musstest. Ich hätte es dir sagen sollen.«
»Ich wünsche, du hättest es getan«, murmelte Karigan.
»Zumindest weißt du es jetzt«, meinte er.
»Ja, aber nicht die Einzelheiten.«
»Das war vor langer Zeit.«
»Dann dürfte es dir nicht schwerfallen, mir jetzt alles zu erzählen.«
Er hob eine Augenbraue. »Ich sehe, dass auch der Ritterstand deine hartnäckige Neugierde nicht gebändigt hat.«
»Vater.«
»Sag mal, reden sie dich bei Hofe mit Sir Karigan an? Sollte es nicht Madam Karigan oder so etwas Ähnliches sein? Vielleicht Madam Sir Karigan?«
»Vater.« Ihre Neugierde mochte hartnäckig sein, aber er brachte sie schier zur Verzweifelung. »Mir ist es ernst.«
»Ja, ja, natürlich. Nun gut. Es ist wohl unvermeidlich.« Er machte eine Pause, wurde nachdenklicher und faltete seine Hände locker auf der Tischplatte. »Wie gesagt, das mit der Goldjäger ist lange her. Ich war noch ein unwissender, grüner Junge, frisch von der Insel, als Kapitän Ifiors Männer mich aus einer Kneipe entführten und in ihren Dienst zwangen.«
»Du wurdest also zwangsrekrutiert«, murmelte Karigan etwas versöhnt, weil ihr Vater gegen seinen Willen an Bord gegangen war.
»Ich muss zugeben, ich habe mich nicht gewehrt.«
»Was? Warum nicht?«
»Ich habe es als gute Gelegenheit betrachtet.«
»Eine gute Gelegenheit? Ein Piratenschiff?« Offenbar war er wirklich ein sehr grüner Junge gewesen.
»Reg dich nicht gleich auf«, sagte ihr Vater. »Die Goldjäger war anfangs gar kein Piratenschiff, sondern ein Freibeuter mit der verbrieften Erlaubnis, Schiffe zu kapern, die die Blockade des Unteren Reiches verletzten.«
»Wie wurde sie zum Piratenschiff?«
»Das Embargo wurde aufgehoben«, antwortete er, »und
Kapitän Ifior beschloss, weiterhin Schiffe zu kapern. Es war sehr einträglich.«
»Zweifellos.« Karigans Kopf pochte, und sie rieb sich die Schläfen. Sie war von ihrer langen Reise durch den Sturm erschöpft, und es war nicht leicht, aus dem Mund des eigenen Vaters zu hören, dass er zu einer Piratenmannschaft gehört hatte. Das Einzige, was sie über Piraten wusste, war, dass sie undisziplinierte, blutrüstige Halsabschneider waren, und sie wollte nicht glauben, dass ihr Vater auch so gewesen war, egal, wie lange das alles auch zurückliegen mochte.
»Kari …«
»Du bist also geblieben, obwohl der Kapitän sich der Piraterie schuldig gemacht hat«, sagte sie.
»Ja. Kapitän Ifior war ein gewiefter Geschäftsmann, und ich habe von ihm viel gelernt.«
»Die Räuberei, zum Beispiel? Mord?« Karigan zuckte zusammen, als die Worte aus ihrem Munde kamen. Sie hatte sich nicht so barsch ausdrücken wollen, aber sie musste es einfach wissen. Sie musste wissen, wer ihr Vater in Wirklichkeit war.
Er antwortete nicht, sondern saß ganz still da, sein Gesichtsausdruck steinern, hart und bleich. Karigan holte tief Luft, um sich gegen den Sturm zu wappnen, der nun bestimmt kommen würde, aber ihr Vater stand abrupt auf und verließ die Küche ohne ein weiteres Wort.
Sein Schweigen, dachte Karigan, war viel schrecklicher, als der schlimmste Wutanfall je hätte sein können.
Eine nach der anderen wandten ihre Tanten sich ihr zu. Die Köchin ignorierte die Szene und tat so, als sei sie an der Anrichte sehr beschäftigt. Tja, nun hatte Karigan es geschafft: Sie hatte das Wiedersehen mit ihrer Familie in eine Katastrophe verwandelt.
»Was ist?«, fauchte sie ihre schweigenden und böse blickenden Tanten an. »Ich habe ein Recht, das zu wissen.«
Tante Staces Mund verwandelte sich in einen grimmigen Strich, bevor sie sprach. »Dein Vater spricht kaum über die Vergangenheit, auch mit uns nicht, aber wir wissen, dass er damals in eine unglückselige Verkettung von Umständen geraten ist, die er nicht verursacht hatte.«
Das konnte Karigan verstehen, aber bestimmt hatte ihr Vater mehr Entscheidungsfreiheit gehabt, als sie bei ihrer Berufung zur Reiterin. »Er hätte fliehen können, als das Schiff irgendwo anlegte.«
»Richtig«, sagte Tante Brini, »aber er hatte gute Gründe zu bleiben. Weißt du, Kapitän Ifior war ihm ein besserer Vater, als unser eigener Vater es je gewesen ist. Er war
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