Pfad der Schatten reiter4
Einzelheiten geben wird, über die ich niemals sprechen werde. Selbst deine Mutter wusste nicht alles. Ich nehme an, dass du ebenfalls Geheimnisse hegst, die du mir niemals verraten wirst.«
Karigan runzelte die Stirn, aber er hatte recht, und sie biss sich auf die Zunge.
»Bist du bereit?«, fragte er.
Sie nickte nachdrücklich, sie war mehr als bereit.
Er neigte höflich den Kopf. »Also gut.« Zum Auftakt holte er tief Luft.
»Der Kapitän der Goldjäger «, sagte er mit einer Stimme, die den Tonfall und den Rhythmus eines Geschichtenerzählers angenommen hatte, »war kein böser Mensch, aber er war ausschließlich an Profit interessiert. Und darum fuhr er fort, Schiffe zu kapern, nachdem das Embargo der Unteren Reiche aufgehoben worden war. Aber er war nicht nur ein hervorragender Geschäftsmann, sondern auch ein ebenso guter
Marinestratege, und die Goldjäger war in jenen Tagen ein schnelles, schnittiges Prachtschiff. Sie konnte beim kleinsten Windhauch über das Wasser gleiten und jedes andere Schiff in Sichtweite überholen, insbesondere die schwer beladenen Frachtschiffe.«
Er bewegte die Hände, während er sprach, um ihr die Größe und die Proportionen des Schiffes zu veranschaulichen. Karigan war überzeugt davon, dass vor seinem geistigen Auge die Goldjäger aufgetaucht war, dass er die Gischt im Gesicht spürte und die Delfine sah, die über die Bugwellen sprangen.
»Wir übernahmen Handelsschiffe, zum Bersten voll mit aller möglichen Fracht«, fuhr er fort. »Fässer mit rhovanischem Wein, dicke Bündel Tabakblätter, Erze, Gewürze, Keramik … alles, was du dir nur vorstellen kannst. Sogar ein Schiff voller Ziegen.«
Fast hätte ihn Karigan gefragt, wie viele Matrosen sterben mussten, wenn die Piraten ein Schiff und seine Fracht »übernahmen«, doch es gelang ihr, zu schweigen und einfach nur zuzuhören. Sie sah zu Kondor hinüber, und seine Augen, die nicht zwinkerten, gaben ihr Halt.
»Die Goldjäger war mit einem eisernen Rammbock ausgestattet«, fuhr ihr Vater fort, »und die Mannschaft bestand aus gut bewaffneten, erfahrenen Kämpfern. Nur wenige Schiffe konnten schneller segeln als wir, und weil wir den Ruf hatten, grimmige Schlachten geschlagen zu haben, konnte Kapitän Ifior die meisten Kauffahrer davon überzeugen, sich kampflos zu ergeben. Besiegte Mannschaften behandelte er fair, insbesondere diejenigen, die sich ergeben hatten. Sobald wir einen Hafen anliefen, ließ er sie frei und sie konnten gehen, wohin sie wollten. Manche beschlossen, auf der Goldjäger zu bleiben.
Ich war lediglich der Schiffsjunge, und ich behaupte nicht,
dass das Leben an Bord einfach oder angenehm war. Die Arbeit war hart und der Kapitän streng. Er hatte keine Geduld mit Faulpelzen und war schnell bereit, jeden Matrosen auspeitschen zu lassen, der sich seiner Meinung nach zu langsam bewegte.« Stevic rieb sich in schmerzhafter Erinnerung die Schultern und zog eine Grimasse. »Weil ich der Kleinste in der Mannschaft war, stießen mich auch die anderen herum, einfach nur, weil ich da war.«
Karigan fiel es schwer, sich ihren Vater als Jungen vorzustellen, denn ihr war er immer so groß und imposant erschienen, absolut nicht wie jemand, den man herumschubste. Diese Jugenderlebnisse mussten ihn zu dem Mann gemacht haben, den sie kannte. Mit Sicherheit hatten sie ihn weder gebrochen noch in ein Ungeheuer verwandelt, das Gleiches mit Gleichem vergalt. Im Grunde genommen war das erstaunlich, und sie, die unter liebevoller, behutsamer Fürsorge aufgewachsen war, konnte ihn dafür nur bewundern.
»Doch so schwer das Leben auf der Goldjäger auch manchmal sein mochte«, fuhr er fort, »es war kein bisschen schlimmer als die Erlebnisse, die ich gehabt hatte, wenn ich mit meinem Vater zum Fischen hinausfuhr. In vielerlei Hinsicht war es sogar leichter. Und auch einträglicher, und darum blieb ich.« Er hielt inne und stieß einen Seufzer aus, den sie kaum wahrnahm und der klang, als würde der Wind in den Segeln ein wenig nachlassen, eine Art Erleichterung. Sie sah ihn an und merkte, dass er weit, weit fort war, weit draußen auf dem offenen Meer, wo er vielleicht Seevögel beobachtete, die sich auf die Fische in den Wellen hinabstürzten, und in die Sonne blickte, die hinter dem Horizont der Welt versank, statt fest verankert mitten in einem Schneesturm in einem Stall zu sitzen. Sie fragte sich, was für Erinnerungen er nun noch einmal durchlebte, nachdem sie ihn dazu gezwungen hatte, und was für
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