Pfad der Schatten reiter4
den Himmelsturm besichtigen. Es war lange her, dass er so von anderen Reitern umringt gewesen war, und in der dunklen, stillen Zeit am Wall hatte er ganz vergessen, wie ausgelassen seine Kameraden sein konnten, vor allem die jüngeren. Lynx war nach wie vor kühl und schweigsam, gab sich aber interessiert. Karigan schwatzte hauptsächlich mit Estral über Selium und die Leute in der Schule dort, die sie beide kannten.
Zum Glück waren Dale und Garth da, um ihm beim Beantworten der Fragen und beim Organisieren zu helfen. Alton kam der Gedanke, dass die ganze Betriebsamkeit eigentlich eine großartige Ablenkung war, denn dadurch konnte er es vermeiden, Karigan gegenüber seine Gefühle für Estral zuzugeben.
Als sie auf ihrem Rundgang vor dem Himmelsturm standen, zeigte Dale ihnen, wie leicht es Reitern fiel, durch den Wall zu gehen, wobei sie sich bei dem Förster Ard entschuldigte, der sie nicht begleiten konnte. Die Reiter probierten es aus, zunächst vorsichtig und dann mit wachsender Begeisterung, und gingen mehrmals hinein und hinaus. Der nächststehende diensthabende Wächter beobachtete sie entsetzt.
Alton seufzte. »Am besten gewöhnen Sie sich daran, Dixon, denn sie bleiben hier. Jedenfalls die meisten.«
Als Alton selbst in den Turm trat, rissen die Reiter gerade neugierig die Schränke auf und blätterten in den Büchern auf dem Tisch. Er raufte sich beinah die Haare, denn er hatte die Bücher sehr penibel geordnet, aber er zwang sich zur Ruhe. Ihm fiel auf, dass Karigan nach oben zu dem fernen Loch im Dach starrte.
»Ich habe gehört, dass es den Turm ziemlich durchgerüttelt hat«, sagte sie zu ihm. »Aber ich wusste nicht, dass so viel Schaden entstanden ist.«
Bevor Alton antworten konnte, sagte Dale: »Wir wären fast zerquetscht worden!«
Karigans Augen weiteten sich. »Wie ich sehe, habt ihr es gut überstanden.« Als sie merkte, dass Estral ihnen in den Turm gefolgt war, wurden ihre Augen noch größer. »Estral? Wie ist sie hier hereingekommen?«
Alton lächelte. »Beim ersten Mal hat sie mich auch damit überrascht. Sie singt den Hütern etwas vor. Sie sagt, dass sie sie gern mögen.«
Karigan sah ihn an, als wollte sie sich vergewissern, ob sie richtig gehört hatte. Jemand schrie auf und beide fuhren zusammen. Es war Fern, die die erstaunlichste Sehenswürdigkeit des Turms gefunden hatte, nämlich die Graslandschaft innerhalb des Säulenkreises. Die anderen wollten das natürlich ebenfalls erleben, und es gab viele aufgeregte Diskussionen und Experimente, genau wie vorhin, als sie die Mauer des Turmes durchquert hatten.
»Wahrscheinlich wird es ihnen irgendwann langweilig … es fragt sich nur, wann«, sagte Karigan mit einem ironischen Lächeln. »Ich muss zugeben, dass ich mich an diesen Ort kaum erinnere.« Sie schlenderte fort, untersuchte die verschiedenen Nischen und Wandvertiefungen der Kammer und blieb eine ganze Weile stehen, um unter dem westlichen Bogengang hindurchzublicken, wo Hauptmann Mebstone sie beide vor fast einem Jahr nach ihren unterschiedlichen Erlebnissen im Schwarzschleierwald halb tot gefunden hatte. Sie entfernte sich von dem Bogen und ging zu den anderen Reitern an den Tempesstein, um sich die Graslandschaft anzusehen.
Estral kam zu Alton und beobachtete die Reiter mit amüsiert blitzenden Augen. »Nun wird es hier etwas lebhafter werden, meinst du nicht?«
»Wir werden sehen. Wenn ich sie erst bei den verschiedenen Türmen stationiert habe, gelingt es uns vielleicht, den
Lärmpegel wieder zu einem langweiligen Dröhnen zu reduzieren.«
An diesem Abend entwickelte sich im Messezelt eine Art Fest. Estral wurde zum Singen und Spielen abkommandiert, und die Reiter tanzten ausgelassen, wobei die Soldaten, die dienstfrei hatten, sich zu ihnen gesellten. Alton überließ es Dale und Garth, auf die Reiter aufzupassen, damit sie nichts kaputt machten.
Er saß mit Karigan, Lynx und Ard an einem Tisch. Karigan schien tief in Gedanken versunken, und Lynx rauchte seine Pfeife, die Augen halb geschlossen, als befände er sich in einer ganz anderen Welt. Ard klatschte im Takt eines wilden Wirtshausliedes. Alton beobachtete Yates, der zum großen Vergnügen der anderen rückwärtige Saltos schlug.
»Allmählich glaube ich, Yates war in einem früheren Leben Akrobat«, sagte Karigan.
»Ich kann kaum glauben, dass Hauptmann Mebstone ausgerechnet ihn für die Expedition ausgewählt hat.«
»Er kann gut Landkarten zeichnen«, antwortete Karigan. »Und er hat sich
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