Pfad der Schatten reiter4
fragte Beryl. »General Harborough drängt Connly, mich nach Norden zu schicken.«
»Ja, das weiß ich, aber ohne meine Zustimmung werden Sie nirgendwohin geschickt. General Harborough steht unter meinem Befehl.«
Über Beryls Züge huschte ein fast unsichtbares, beifälliges Zucken.
»Vorerst brauche ich Ihre besonderen Fähigkeiten«, sagte Estora.
Nun war Beryl voll interessiert. »Wie kann ich Euch dienen?«
»Haben Sie zufällig irgendwann einmal meinen Vetter Lord Richmont Spane kennengelernt?«
»Nicht offiziell, aber ich weiß natürlich, wer er ist.«
Aus der Art, wie Beryl »natürlich« sagte, schloss Estora, dass die Reiterin über seine Intrigen teilweise Bescheid wusste. Estora lächelte. In gewisser Hinsicht war Beryl wesentlich furchterregender, als Richmont je sein konnte, aber Estora blieb nicht anderes übrig, als ihr zu vertrauen. Sie betete darum, dass ihr Vertrauen nicht enttäuscht werden würde.
»Ich glaube, in dem Fall haben wir viel zu besprechen«, sagte Estora.
»Es wird mir eine Ehre sein«, antwortete Beryl.
DER SIEGELRING
Das Gehen beziehungsweise Humpeln war sehr mühsam, und Schweiß strömte Karigan über die Stirn. Selbst mithilfe des Knochenholzes konnte sie nicht mit dem raschen Tempo Schritt halten, das Graelalea vorlegte, aber wenn sie nun zurückfiel, merkten entweder Ard oder Telagioth es gleich und riefen Graelalea zu, sie solle warten. Karigan tat ihr Bestes und konzentrierte sich auf den Pfad, der vor ihr lag. Dennoch verspotteten maskierte Tänzer sie aus den Schatten. Einmal, als sie stur geradeaus starrte, verschmolzen die Tänzer mit den Bäumen, und ihre Äste schwankten, als ein Windstoß durch sie fuhr.
Als sie sie ein anderes Mal sah, fixierte sie sich so sehr auf den Anblick der Tänzer, die zu irgendeiner misstönenden Musik herumstolzierten, dass Telagioth sie schütteln musste, damit sie wieder zu sich kam.
»Seht Ihr sie nicht?«, fragte sie ihn.
»Wen?«
»Die Tänzer. Den Maskenball.«
»Nein. Ich sehe nur Bäume, und die tragen keine Masken.«
Karigan nickte und zwang sich weiter vorwärts. Sie musste sich damit abfinden, in zwei Welten zugleich zu sein: Die eine beruhte auf dem Gift der Dornen, die andere war so, wie ihre Kameraden sie auch erlebten.
Als sie endlich zu einer Rast anhielten, kam Karigan aus der
Nachhut nach vorn und sah, dass Graelalea mit der Spitze ihres Dolches etwas in den Schlamm zeichnete.
»Wenn wir unser Tempo beibehalten«, sagte sie, »werden wir Schloss Argenthyne in wenigen Tagen erreichen.«
Karigan stellte fest, dass die Zeichnung eine Landkarte darstellte, die anzeigte, wo sie waren und wie weit sie noch zu gehen hatten. Yates wirkte frustriert, weil er sie nicht sehen konnte. Sie befanden sich auf einem gewundenen Pfad, der zu einem mit einem X markierten Ort führte, und anscheinend waren sie nicht allzu weit von X entfernt.
Als Graelalea fertig war, gingen alle außer Yates fort, um sich hinzusetzen und einen Schluck Wasser zu trinken. »Karigan«, rief er.
Sie hinkte zu ihm hinüber. »Ich bin hier.«
»Gut.« Er nahm seine Botentasche ab und drückte sie Karigan in die Hand. »Du musst kopieren, was Graelalea da gezeichnet hat«, sagte er. »Für den König.«
Karigan fiel die Kinnlade herunter. Sie konnte nicht besonders gut zeichnen. »Aber …«
»Du hast die leserlichste Handschrift von uns allen«, sagte Yates. »Tu einfach dein Bestes.«
»Na gut«, erwiderte sie unsicher. Sie schleppte sich zu einem nahen Felsbrocken, setzte sich hin und holte Yates’ Chronik und seine Schreibutensilien aus seiner Botentasche. Beim Durchblättern der Chronik sah sie viele Seiten, die mit seiner akkuraten Schrift bedeckt waren, Landkartenskizzen mit Maßen und Landmarken sowie andere Zeichnungen, die anscheinend persönlicherer Natur waren. Sie wollte nicht neugierig sein und betrachtete diese Zeichnungen deshalb nicht genauer, aber das Buch öffnete sich von selbst auf einer Seite mit einem wunderschönen Porträt von Hana. Er musste es am Anfang ihrer Reise angefertigt haben, denn auf ihrem Gesicht hatte er den Anflug eines Lächelns festgehalten.
»Du bist ein erstaunlich guter Künstler«, sagte Karigan. Noch erstaunlicher war, dass sie diese Seite von ihm noch gar nicht kennengelernt hatte.
»Das Talent habe ich von meiner Mutter geerbt«, erklärte er stolz. »Sie hat die meisten Radierungen und Illustrationen für die Druckerei meines Vaters geschaffen.«
Als Karigan nach einer leeren Seite
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