Pfad der Schatten reiter4
suchte, erhaschte sie Impressionen von Abbildungen des Waldes mit seiner Flora und Fauna, darunter auch Kolibris. Sie schauderte und blätterte schnell weiter, bis sie eine leere Seite fand. Sie kopierte Graelaleas Landkarte, so gut sie konnte, und fügte Anmerkungen hinzu. Das Ergebnis war längst nicht so gut wie das, was Yates daraus gemacht hätte, aber zumindest akzeptabel. Da sie es gewohnt war, die Bücher der Reiter zu führen, war ihre Handschrift sehr akkurat.
Als die Tinte trocken war, steckte sie Chronik und Schreibfeder wieder in die Botentasche und drückte sie Yates in die Hand, aber er gab sie ihr sofort zurück.
»Behalte sie lieber, falls du irgendetwas anderes aufzeichnen musst.« Ernster fügte er hinzu: »Außerdem ist deine Chance, die Chronik dem König zu übergeben, größer als meine.«
Karigan fing an zu widersprechen, aber er schüttelte den Kopf. »Ich gebe nicht auf, ich bin nur realistisch.«
Eine neue Hoffnungslosigkeit legte sich über sie wie eine schwere Decke. Sie wusste, dass er recht hatte, aber deshalb musste sie es noch lange nicht akzeptieren. Sie würden wieder aus dem Schwarzschleierwald herauskommen. Und zwar alle. Sie mussten einfach.
In der Nähe ging Grant auf und ab und hielt seinen Arm eng an sich gepresst. Er war bleich und schwitzte. »Nythlinge«, murmelte er. »Ich muss die Nythlinge kommen lassen.«
Graelalea kam und beugte sich über Karigan. »Ich würde mir gern Ihr Bein ansehen.«
»Vielleicht solltet Ihr Euch Grants Arm ansehen.«
Graelalea seufzte. »Das habe ich versucht, und zwar mehr als einmal. Er weigert sich, und wenn ich darauf bestehe, wird er gewalttätig.«
»Ich habe ihn gesehen«, sagte Ard, der sich auf einem Felsbrocken in der Nähe niederließ. »Er hat ihn mir zwar nicht gezeigt, aber ich habe beobachtet, wie er selbst ihn sich angesehen hat. Die Hautfarbe sieht sehr ungesund aus und er hat lauter schwarze Beulen.«
»Ich kann ihm nicht helfen, wenn er es nicht selbst wünscht«, murmelte Graelalea und fing an, Karigans Bein mit frischer Evaleoren-Salbe zu behandeln. Karigan seufzte erleichtert, als die Salbe den Schmerz milderte.
»Ich habe ihm auch Hilfe angeboten«, sagte Ard, »und er hat mir dafür angeboten, mein Gesicht zu Brei zu schlagen.«
Karigan konnte sich nicht vorstellen, wie sie Grant helfen sollten – abgesehen von der Möglichkeit, sich gemeinsam auf ihn zu stürzen und ihn festzuhalten. Falls es ihm weiterhin schlechter ging, würden sie das vielleicht sogar tun müssen.
Als Graelalea mit Karigans Bein fertig war und wieder wegging, sah Karigan Ard an, der mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen dasaß und sich ausruhte. Die Reise hatte ihn ebenso erschöpft wie alle anderen. Er war stark abgemagert. Als sie seine Hände betrachtete, die auf seinen Knien lagen, die Knöchel wund und schmutzig, fiel ihr ein funkelnder silberner Ring auf, den sie vorher noch nie bemerkt hatte. Ob er ihn schon die ganze Zeit getragen hatte, ohne dass er ihr aufgefallen war? Oder hatte er ihn erst kürzlich angelegt? Und wenn ja, warum?
Es war kein Ehering, obwohl er auf dem traditionellen Ringfinger steckte. Ard hatte behauptet, er habe keine Familie. Er trug ein Siegel mit dem Kormoran-Wappen des Klans von Coutre, also war er vielleicht auf eine besondere Weise an
diesen Klan gebunden, die ebenso bedeutsam war wie eine Ehe. Er musste beim Klan von Coutre in hohen Ehren stehen, wenn er als einfacher Förster einen solchen Ring besaß.
Ard bewegte sich und begegnete ihrem Blick. »Ist irgendetwas?« , brummte er mürrisch.
»Ich habe nur Ihren Ring bewundert.«
Seine Hände kamen zusammen und er drehte den Ring unbewusst an seinem Finger. »Ein Geschenk«, sagte er, »von der Herrin.«
»Von Lady Coutre?«
»Nein, von meiner Herrin Estora. Als sie mir ihren Segen erteilte, damit ich sicher aus dem Schwarzschleierwald zurückkomme. Der Ring ist ein Zeichen des Vertrauens, und ich werde meine Pflicht hier im Interesse des Klans erfüllen; es wird mir eine Ehre sein.«
Ards Augen waren überschattet, als er sie ansah, und sie spürte, dass mehr dahintersteckte, als er zugeben wollte. Karigan hatte jedoch keine Gelegenheit, genauer nachzufragen, denn Graelalea verkündete, dass es Zeit war, sich wieder auf den Weg zu machen.
Im Lauf des folgenden Tages wurde Karigan allmählich wieder kräftiger, und jedes Mal, wenn die Evaleoren-Salbe aufgetragen wurde, zeigte ihr Bein winzige Anzeichen einer Heilung. Auch ihre Visionen
Weitere Kostenlose Bücher